Elf Leben
Dusche und sah zu, wie sein Kugelbauch langsam im beschlagenden Spiegel verschwand. Dann ließ er sich durch den Nachmittag treiben. Als er schließlich das Küchenmesser nahm, damit aus dem Haus ging und sich auf den Weg machte, war es fast, als würde er Anweisungen befolgen, und nun steht er hier, im stärker werdenden Regen am Bahnhof.
Julius’ Basstrommelherz legt weiter ein Wahnsinnstempo vor. Er versucht, nicht mehr andauernd zu pupsen, aus einem Gefühl des Stolzes vor seinen abwesenden Peinigern heraus. Sein Bauch fühlt sich an wie ein Käfig, in dem ein wildes Tier wütet. In sieben Minuten wird ein Zug ankommen. Er geht zum hinteren Teil des Bahnhofs, zu dem Ausgang, den nur wenige Leute benutzen.
Xavier sitzt vor dem Fernseher, im Rücken ein frisch aufgeschütteltes Sofakissen. Mit einer ihrer letzten schwungvollen Gesten für heute hat Pippa die drei Fernbedienungen der Größe nach sortiert auf den Couchtisch gelegt. Auf einem Sender läuft Muriels Hochzeit mit Toni Collette; Xavier sieht ein paar Minuten zu und erinnert sich an den Wirbel um den Film, der die Viererbande vor fünfzehn Jahren schließlich dazu verführt hatte, ihn sich im Zodiac anzusehen. Sie waren Anfang zwanzig und voll von hippem Zynismus gewesen und hatten insgeheim gehofft, sich über den Film lustig machen zu könnten, doch am Ende rührte er Matilda zu Tränen, und Chris wollte sie noch mehr küssen als sonst.
Er schaltet ein paar Sender weiter und bleibt bei einem Rugby-Spiel hängen. Das Match wird unterbrochen, als ein Spieler behandelt wird, und Xavier sieht durch das funkelnde Fenster – er hatte gar nicht gemerkt, wie schmutzig es vorher war – hinaus in den Regen auf der Bayham Road. Er denkt an Pippa und überlegt, ob er ihr nicht doch ein Trinkgeld hätte geben sollen.
Einer der Zehn-Pfund-Scheine, die Xavier Pippa gegeben hat, ist im Laufe seines dreijährigen Lebens durch die Hände Dutzender Menschen in ganz London gegangen. Xavier bekam ihn Anfang der Woche als Wechselgeld von dem indischen Ladenbesitzer, dieser nahm ihn als Bezahlung für ein Päckchen Zigaretten von einem Versicherungssachverständigen, der ihn in einem Drogeriemarkt in Chelsea erhielt, wo ein Student damit bezahlte, und die Reihe seiner Londoner Besitzer geht zurück bis zu einem Immobilienmakler, Ollie Harper, der den Geldschein vergangenen Sommer von einem Festival in Edinburgh mit in die Hauptstadt brachte.
Ollie sitzt jetzt in dem Zug, der gleich in einen Bahnhof ungefähr eine Meile von der Bayham Road Nr. 11 entfernt einfahren wird. Er hatte einen langen Arbeitstag, aber es hat sich gelohnt. Unter den acht Besichtigungen waren zwar drei oder vier hoffnungslose Fälle – man merkt das sofort an der überfreundlichen Art der Leute –, aber es gab auch zwei vielversprechende Termine. In einem Fall haben ihm die potenziellen Käufer abgenommen, dass die Wohnung schon so gut wie verkauft sei, es aber »vielleicht noch eine Chance« gebe, wenn sie gleich am Montag ihr Gebot einreichen würden. Das ist zwar eine verbreitete Masche, aber er merkte, dass das junge Paar anbiss; sie wollen bald heiraten und sind hellauf begeistert von der Vorstellung, direkt nach den Flitterwochen in ihr erstes gemeinsames Heim zu ziehen. Ollie erinnert sich, wie es ihm damals mit Nicola so ging.
Nicola wird schon fast schlafen, wenn er nach Hause kommt, obwohl es erst acht Uhr ist; länger als bis zehn Uhr hält sie nicht durch. Von der Schwangerschaft ist ihr nicht übel geworden, aber sie ist müde, müde, müde. Gut möglich, dass es noch Knatsch geben wird, weil er wieder an einem Samstag gearbeitet hat, aber nur so schafft er es, in der Agentur die Nase vorn zu haben, deshalb sind seine Verkaufzahlen dieses Jahr so hoch, während die seiner Kollegen in den Keller gehen. Auf diese Weise wird das Baby, wenn es auf der Welt ist, einen Dad mit einem sicheren Job haben, während alle anderen mit einem Fuß auf der Straße stehen. Ollie glaubt, es wird ein Junge, obwohl er insgeheim lieber ein Mädchen hätte, eine Miniversion von Nicola, eine tragbare Schönheit. Bei diesem Gedanken muss er lächeln, und er tritt auf den Bahnsteig. Er lässt seinen Schirm aufspringen. Was für ein Scheißwetter in letzter Zeit, denkt er, aber wenigstens ist es jetzt nicht mehr so kalt. Anders als die anderen der Handvoll Passagiere, die hier aussteigen, steuert er auf den näheren, dunkleren Hinterausgang zu.
»Stehenbleiben und Geld her«, sagt Julius.
Laut
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