Elfenblut
die Summe vor. Schließlich müsst ihr anständig gekleidet sein, wenn ihr in einem Haus wie dem meinen arbeiten wollt.«
Pia konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, irgendeine Zusage in dieser Richtung gemacht zu haben, griff aber trotzdem nach den Münzen und schloss die Hand darum. »Du musst uns nichts vorstrecken«, sagte sie freundlich. »Ich hasse es, Schulden zu haben. Da, wo wir herkommen, nennt man so etwas Arbeitskleidung. Wenn wir zurück sind, reden wir darüber, was du Alica und mir für den gestrigen Abend schuldest.«
»Aber …«, begann Brack.
»Wir müssen natürlich nicht für dich arbeiten, wenn dir unsere Kleider nicht gefallen«, fuhr Pia lächelnd fort und streckte die Hand aus, wie um ihm sein Geld zurückzugeben.
Brack starrte ihre Hand ungefähr so begeistert an, als hielte sie eine abgezogene Handgranate. »Kann es sein, dass ich dich unterschätzt habe?«, fragte er schließlich.
»Ganz bestimmt sogar«, antwortete Pia, »aber mach dir nichts draus. Du bist nicht der Erste, dem das passiert.«
Lasar kam zurück, Alicas und ihren Mantel über dem einen und einen dritten, viel zu dünnen und hoffnungslos zerschlissenen Umhang über dem anderen Arm. Er wich ihrem Blick aus.
Pia stand auf, schlüpfte in ihren Mantel und überzeugte sich davon, dass ihre Haare bis auf die letzte Strähne unter dem improvisierten Kopftuch verborgen waren, bevor sie die Kapuze hochschlug und sich zur Tür wandte, was sich als gar nicht so einfach erwies. Sie würde ihr Spesenkonto um einen weiteren Betrag strapazieren müssen, um sich eine anständige Kopfbedeckung zu beschaffen.
Die Kälte, die sie draußen erwartete, schien noch grimmiger geworden zu sein; aber das war eine Täuschung, der sie nicht nur jetzt, sondern auch an jedem der folgenden Tage erliegen sollte, die sie noch in WeißWald verbringen würden; und das würden eine Menge sein. Jetzt jedoch war sie felsenfest davon überzeugt, dass sich die Natur ganz bewusst gegen Alica und sie (vor allem gegen sie) verschworen hatte, um sie noch ein bisschen mehr zu quälen. Weil sie ja noch nicht genug am Hals hatten.
Sie blieb stehen und wartete, bis Alica und als Letzter Lasar auf die Straße herausgetreten waren. Mit einem ganz und gar nicht schuldbewussten Gefühl von Schadenfreude registrierte sie, wie Alica unter der Kälte zusammenfuhr und ganz automatisch versuchte, einen Mantelkragen hochzuschlagen, den es nicht gab.
»Du hast Brack gehört«, wandte sie sich an Lasar. »Bring uns zum Markt. Geh voraus … bitte.«
Lasar hastete ein paar Schritte weiter, blieb dann stehen und sah ein bisschen hilflos zu ihr zurück. »Erhabene?«, murmelte er.
Pia schluckte alles hinunter, was ihr zu dieser nervigen An-rede auf der Zunge lag. »Geh voraus«, sagte sie nur noch einmal.
»Aber das … tue ich doch.« Der Junge wirkte jetzt so hilflos, dass er ihr beinahe leidtat. Aber nur beinahe.
»Ja, das stimmt. Aber nicht weit genug.«
»Und wie weit … soll ich vorausgehen?«, fragte er schüchtern.
»Nicht sehr weit. Nur gerade bis außer Hörweite.«
Lasar wirkte nun vollkommen hilflos, aber nach einer weiteren Sekunde verstand er doch, drehte sich auf dem Absatz um und ging weiter. Pia und Alica schlossen sich ihm an.
»Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft«, sagte Alica, »muss ich die Sprache dieser netten Leute hier lernen.« Das war nicht nur eine Feststellung, sondern eine Frage. Wenn auch eine, die Pia ganz und gar nicht hören wollte. Und noch sehr viel weniger beantworten.
»Ich hoffe, dass das nicht nötig ist«, sagte sie leise. Lasar ging zwar gehorsam ein halbes Dutzend Schritte vor ihnen her, aber vielleicht waren die Ohren der Leute hier ja so scharf wie sie selbst klein. »Wir müssen verschwinden. Besser heute als morgen.«
»Ich verstehe«, sagte Alica spöttisch. »Deshalb gehen wir ja jetzt auch auf den Markt, um Stoff zu kaufen und uns einzukleiden.«
»Und um Informationen zu bekommen«, fügte Pia hinzu.
Alica sah sie fragend an.
»Wir müssen bis zum Frühjahr hierbleiben, habe ich recht?«
Alica nickte.
»Und woher wissen wir das?«, fragte Pia. »Außer von Brack, meine ich?«
»Von niemandem, aber …«
»Dann wird es vielleicht Zeit, dass wir es uns von jemandem bestätigen lassen«, fuhr Pia fort.
»Und dazu gehen wir auf den Markt?«
»Nein«, antwortete Pia. »Ja. Ach verdammt, ich …« weiß es nicht? Das wäre die ehrliche Antwort gewesen. Aber einmal ganz davon abgesehen, dass sie bei
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