Elfenglanz
langsam, aber stetig durch den Wald bergauf quälten. Jahrelang hatte Shar ihm dieses Motto eingetrichtert – für das Allgemeinwohl –, doch erst heute hatte er es in seinem ganzen Ausmaß verstanden.
Shar.
An ihn konnte er jetzt auch nicht denken.
Sie brauchten nur eine knappe Stunde bis zu der Lichtung hinter dem Haus seiner Mutter, obwohl jeder Schritt mühevoll war. Jamison war kein großer Elf, aber er wurde immer schwerer und Tamani immer müder. Er hatte viel zu wenig geschlafen.
»Schön unten bleiben«, flüsterte Tamani, als er den Blick über die Rasenfläche wandern ließ, die sie überqueren mussten, um ins Haus zu gelangen. Die Straßen waren verlassen und die Orks waren anscheinend noch nicht ins Frühlingsviertel vorgedrungen, doch Tamani hatte zu viel Erfahrung, um sich vom äußeren Eindruck einlullen zu lassen. Auf sein Zeichen hin stürzten sie sich auf die Lichtung und flogen geradezu zu dem runden Baum, in dem Tamanis Mutter lebte. Als sie die Rückwand erreichten, öffnete Tamani das fein verborgene Schloss und wollte die Tür aufdrücken, doch nichts rührte sich. Er schob und schob – nichts passierte. Grollend hob er einen Fuß und trat so fest zu, dass die verborgene Tür nachgab und heftig in den Scharnieren schwang.
Er hatte das Haus noch nicht betreten und blieb gerade noch rechtzeitig stehen, bevor das Messer an seiner Kehle seine Haut durchstach.
»Bei der Wiege der Göttin, Tam!« Seine Mutter nahm das Messer von seinem Hals und gab den Weg frei. Kaum waren sie im Haus, ließ sie besorgt den Blick über die Felder schweifen und schloss die Tür. »Ich habe euch für Orks gehalten. Die junge Sora war gerade hier und hat uns gewarnt, dass Orks auf dem Weg ins Frühlingsviertel seien. Ich hatte vor, mich den Wachposten an den Barrikaden anzuschließen.«
»Du musst etwas Wichtigeres für mich erledigen«, sagte Tamani und ging ins Schlafzimmer seiner Mutter, wo er Jamison auf ihrem Bett ablegte.
»Himmel und Erde, ist das etwa … Jamison?«, rief seine Mutter. Dann zog sie ihren Armschutz aus und kniete neben dem Bett nieder. »Was ist passiert?«
Tamani erklärte es ihr rasch. »Wir müssen ihn wecken. Ich habe gehofft, dass du Laurel dabei helfen kannst.«
»Selbstverständlich«, erwiderte seine Mutter und zog den Rest ihrer Rüstung aus. »Wirklich schade, dass der alte Tanzer sich den Schweigsamen angeschlossen hat. Er würde genau wissen, was zu tun ist.«
»Das wusste ich noch gar nicht«, sagte Tamani und ließ enttäuscht die Schultern sacken. Er hatte gehofft … doch Laurel würde es schaffen. Es musste ihr einfach gelingen!
Als er Laurels verwirrte Miene sah, erklärte er es ihr. »Tanzer war ein Freund meiner Mutter. Er … hat früher hier in der Nähe gewohnt.«
»Der beste Mixer aller Zeiten«, sagte Tamanis Mutter und legte die Hände auf Jamisons aschfahle Wangen. »Früher kannte ich sie alle. Aber nur wenige Mixer ziehen ins Frühlingsviertel.«
»Du hast eben etwas von Barrikaden gesagt?«, fragte Tamani.
Seine Mutter nickte. »Auf dem Hauptweg – in der Nähe der Wäschehütten. Falls die Orks sie durchbrechen, geht der Straßenkampf los.«
Nicht falls, sondern wenn. Tamani war kurz davor, alle Hoffnung fahren zu lassen. Die Königin hatte sie im Stich gelassen, Jamison war außer Gefecht gesetzt und der Torgarten in feindlicher Hand.
Immerhin hatten sie noch David.
Und David hatte das Schwert.
Tamani sah Laurel in die Augen. »Tu für Jamison, was du kannst. Probier jeden Mixertrick aus, den du kennst, leg einfach los. Wir müssen zu den Barrikaden – und tun, was wir können.«
Tamanis Mutter sah ihn besorgt an. Dann stand sie auf und zog ihn beiseite, wo Laurel und David sie nicht verstehen konnten. »Ich weiß, wer das ist«, sagte sie mit mütterlicher Strenge und neigte den Kopf zu David. »Dass du mir ja nicht mit ihm rausgehst und zusiehst, wie sie ihn umbringen, nur weil es dir zugute käme, Tam. Ein ehrloser Sieg ist schlimmer als gar keiner.«
Doch Tamani schüttelte den Kopf. »Es ist nicht, wie du denkst, Mutter. Er hat das Schwert. Das, von dem Shar immer so leise erzählt hat. Es ist wirklich wahr, und ich habe gesehen, wie er es benutzt hat.« Er sah David an. »Er ist unsere letzte Hoffnung, jetzt, da Jamison bewusstlos ist.«
Seine Mutter schwieg einen Augenblick. »Steht es wirklich so schlimm?«
Tamani drückte ihre Hand.
»Dann geh«, sagte sie. »Die Göttin möge euch beide beschützen.« Sie wollte sich schon
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