Elfenglanz
eingestürzt und schwarz von Ruß. Überall lagen Leichen. Einige waren unversehrt, andere teilweise verbrannt oder von der ersten Angriffswelle der Orks verstümmelt. Laurel geriet in Panik. Würde im Laboratorium überhaupt noch ein Stein auf dem anderen stehen? Sie war schon froh, als sie am Ende des letzten Gangs entdeckte, dass die Tür noch in den Angeln hing.
Yeardley zögerte nur kurz und drückte sie dann auf. Seine Hand hinterließ einen weißen Abdruck in der schwarzen Asche. Als sie den Raum betraten, schnappte Fiona hörbar nach Luft. Der Raum sah aus, als hätte jemand ihn hochgehoben und durchgeschüttelt. Der Boden war voller Scherben, Blumentöpfe lagen überall verstreut und statt der Möbel gab es nur noch haufenweise Bretter. Alles war mit einer feinen Rußschicht überzogen.
Laurel vermied es, die Elfenleichen anzusehen. Auch für den toten Ork am anderen Ende hatte sie nur einen kurzen Blick. Yeardley wirkte stoisch und biss die Zähne zusammen, Chelsea war blass, doch Fiona hielt sich gut und konzentrierte sich in der typischen Art der Herbstelfen auf ihre Aufgabe.
»Mein Arbeitsplatz ist … äh, war da hinten«, sagte sie und hob ihren langen Rock, als sie über die Glasscherben aus kaputten Geräten und zerbrochenen Phiolen stieg. Wahrscheinlich hatten sie auf den Arbeitstischen gestanden. Deshalb war Laurel erleichtert, als Fiona sich bückte und ein Schränkchen unter dem Tisch öffnete. Darin hatte sie mehrere große Messbecher verwahrt.
»Einer ist umgefallen und kaputtgegangen, aber zwei sind noch heil«, sagte Fiona und zeigte ihnen zwei Glasbecher mit einer klaren Lösung, die die Konsistenz frisch geernteten Honigs hatte.
»Perfekt«, sagte Laurel, die erschöpft an der Kante des Arbeitstisches lehnte und darauf achtete, dass nur ihr Rock und keine Haut damit in Berührung kam. Es war spät, sie war müde und das Gift belastete sie zusätzlich. Sie sah sich in dem halb zerstörten Klassenraum um. »Glaubt ihr, wir finden hier alles, was wir brauchen?«, fragte sie zweifelnd.
»Kommt hierher!« Laurel zuckte bei Yeardleys Ruf zusammen. Er wischte mit seinem Taschentuch eine Arbeitsfläche ab. »Ihr zwei könnt über den Grundstoff reden«, meinte Yeardley, »und ich bringe euch, was ihr braucht. Die Proben auf den Regalen müssten noch intakt sein.« Laurel nickte und ihr Lehrer untersuchte die Bestände.
Fiona stellte die beiden Becher auf die freie Fläche und erklärte Laurel, wie sie auf die Mixtur gekommen war. Im Großen und Ganzen sagte sie das Gleiche wie damals, als Laurel zum ersten Mal in Avalon war, doch nachdem sie zwei Sommer lang hier studiert hatte, verstand sie nun das meiste. Fiona ratterte die Ingredienzien herunter, die sie in einer alten Schrift gefunden hatte: geräucherte Nesseln vom Josuabaum, verschnittene Birkenfeigen- und Gurkensamen und Passionsfruchtextrakt. Dazu kamen noch zahllose weitere Bestandteile, sodass Laurel sie nach einigen Minuten unterbrach. »Ich muss das alles fühlen. Würdest du bitte einige Tropfen in ein Schüsselchen tun? Ich fürchte, wenn ich den Grundstoff im Becher berühre, zerstört das Gift alles.« Sie warf Chelsea einen Blick zu. »Ihr beide müsst übernehmen, was meine Hände nicht können.«
Chelsea sah sich um und holte eine kleine flache Schale, während Fiona vorsichtig den Deckel eines der beiden Becher öffnete. Nachdem sie mehrere Tropfen abgemessen hatte, reichte Chelsea Laurel das Schälchen.
»Ich weiß genau, dass der Grundstoff bis zu diesem Punkt richtig gemischt ist«, sagte Fiona kopfschüttelnd. »Die Schrift war gut verständlich und alles passte perfekt zusammen. Aber der Rest der Anweisungen fehlte und alle meine Versuche waren vergebens. Ich bekomme es nicht hin, weil ich an irgendeinem Punkt ein Brett vor dem Kopf habe. Ich weiß nur nicht, wo!« Sie seufzte. »Du kannst dir nicht vorstellen, was ich alles probiert habe. Peinlich.«
Während Fiona von ihren gescheiterten Experimenten berichtete, steckte Laurel den Finger in die Lösung, die in der kleinen Schale vor ihr stand. Ihre Fingerkuppen waren schwarz und leicht geschwollen, doch sie konzentrierte sich darauf, wie Fionas Mixtur auf das Gift in ihrem Körper reagierte beziehungsweise wie das Gift auf den Grundstoff des Viridefaeco reagierte. Sie spürte das Potenzial der weniger bedeutenden Ingredienzien, die von den mächtigeren unterdrückt wurden. Die Lösung enthielt mehrere Bestandteile, die sie selbst so nicht gemischt hätte, und
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