Elfenglanz
tiefen Graben gefallen, den er mit dem Schwert gezogen hatte. Sie blinzelte gegen die Dunkelheit an und verstand nach einigen Sekunden, was er für Avalon geleistet hatte. Laurel warf sich in seine Arme. »Danke«, flüsterte sie, und ehe sie sich von ihm löste: »Jamison?«, weil sie Kleas Aufmerksamkeit nicht auf ihn lenken wollte.
»Lebt«, murmelte David.
Laurel nickte und sprang mutig über den Graben.
Es dauerte ein wenig, bis sie Klea, die reglos im Dunkeln lag, und Tamani in der Mitte des Kreises gefunden hatte. Yukis Kopf lag in seinem Schoß. Er sah Laurel gequält an.
Sie starrte auf die reglose Elfe. »Ist sie …?«
»Ich kann die Königin nirgends entdecken«, unterbrach Klea sie.
Doch Laurel ließ sich nur kurz von ihr ablenken, kehrte ihr den Rücken zu und ging neben Tamani und Yuki in die Hocke. Yuki sah aus, als ob sie schliefe, doch ihre Züge waren wächsern und sie atmete nicht mehr. Es tat Laurel unendlich leid um sie und gleichzeitig stand sie am Rande der Panik. Wenn Yuki bereits tot war, wie viel Zeit blieb Tamani dann noch?
»Zieh das Hemd aus«, forderte sie ihn auf.
Tamani gehorchte.
Bei seinem Anblick musste sie würgen. Aus dem kleinen Kratzer am Schlüsselbein wanden sich schwarze Streifen über Schultern und Hals. Aus den Wunden am Bauch rann grünlicher Pflanzensaft – ein untrügliches Zeichen dafür, dass Kleas Gift auch innerlich wirkte. Lange hielt er nicht mehr durch.
»Du hast versagt, nicht wahr?«, fragte Klea, die immer noch nur wenige Schritte von ihm entfernt im Gras lag und keinen Finger rührte. »Und weil du eine Versagerin bist, wird Avalon untergehen.«
»Falsch!«, fauchte Laurel sie an. »Ich war gar nicht im Palast. Hast du wirklich gedacht, ich würde dir helfen? Jamison hatte vollkommen recht, dich zu den Unseligen zu schicken.« Laurel funkelte Klea wütend an. »Lieber sterbe ich, als in deiner perfekten Welt zu leben!«
Laurel hörte, wie es knirschte, als Klea die Faust ballte. Das Serum tropfte ölig durch ihre Finger auf ihre schwarze Bluse. »Den Wunsch erfülle ich dir gerne. Nur schade, dass du alle anderen mit dir in den Abgrund reißt.«
»Heute nicht«, flüsterte Laurel.
Jetzt oder nie.
Offenbar stand ihr ins Gesicht geschrieben, was sie vorhatte, denn Tamani wich zurück. »Nein!«
Doch sie hatte die Hand bereits auf seine schwarze Haut gelegt, schloss die Augen und spreizte die Finger. Sofort spürte sie das Leben unter seiner Haut; es nahm den Kampf gegen das Gift auf, das sie ebenfalls fühlen konnte. Kleas Zauber war anders als alles, was Laurel kannte. Er war sogar noch komplizierter und absonderlicher als das Pulver, mit dem Klea die Orte verborgen hatte, an denen die Orks untergebracht waren. Laurel hatte dieses Pulver erfolgreich zurückentwickelt, doch sie hatte viel zu lange dafür gebraucht und dabei hatte sie noch Glück gehabt.
Auf der anderen Seite hatte sie einiges daraus gelernt.
Als sie sich wieder von Tamani löste, hatte er Tränen in den Augen. »Warum hast du das getan?«, fragte er und hob mühevoll die Hände, um ihr Gesicht zu umfassen. »Ich soll doch eigentlich dich beschützen.«
»Einen besseren Beschützer kann sich kein Mädchen wünschen«, sagte Laurel tröstend. Sie beugte sich vor und küsste ihn kurz. »Aber jetzt bin ich dran.«
Kleas Gift wirkte bereits in ihren Fingern und unter ihren Lippen, indem es das Chlorophyll zerstörte und ihre Zellwände durchbrach. Auf diese Weise brachte es Laurels Lebensenergie unter Kontrolle und wendete sie gegen sie. Sie musste schnell sein, doch das Gift teilte sich ihr mit und sie hörte bereitwillig zu.
»Oh«, sagte sie, als sie aufstand. »Schöne Grüße von deinem Vater.«
Laurel wartete nicht ab, wie Tamani darauf reagierte, sondern erinnerte sich noch einmal genau mit geschlossenen Augen an die Worte des Weltenbaums. Wenn du so denken kannst wie die Jägerin, kannst du auch tun, was sie vollbracht hat. »Bin gleich wieder da«, sagte sie und sprang über den Graben.
David hielt sie auf. »Wo bist du denn gewesen, Laurel?«
»Am Weltenbaum.« Auf ihrer inneren Uhr tickten die Sekunden.
»Bei dem Baum, der zu dir spricht?«
Laurel nickte.
»Was hat er gesagt?«
»Ich soll Avalon retten!«
Vierundzwanzig
A ls Laurel die Hügelkuppe erreichte und das Gewächshaus betrat, war der Garten nur spärlich beleuchtet. Die überlebenden Elfen saßen unter ihren bewusstlosen Gefährten, die allmählich wieder erwachten. Überall husteten und keuchten
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