Elfenglanz
Vergessenheit geraten, nachdem die Tore geschlossen worden waren – nachdem sämtliche Begegnungen mit den Menschen unterbunden wurden, nicht wahr?« Laurel wandte sich an Fiona, die eifrig nickte. »Das ist kein Zufall, sondern das ist der Grund, warum es vergessen wurde. Darum wurde auch die zweite Hälfte der Anweisungen vernichtet. Weil der Katalysator für diesen Zaubertrank menschliche DNA ist. Darf ich, Chelsea?«, fragte sie und zeigte ihr ein kleines Messer, mit dem normalerweise Pflanzen zugeschnitten wurden.
Ohne zu zögern, hielt Chelsea ihr die Hand hin und nickte.
Laurel setzte das Messer an Chelseas Fingerkuppe. Nur ein kleiner Stich , sagte sie zu sich selbst. Trotzdem fiel es ihr sehr schwer, das Messerchen so anzusetzen, dass es einschnitt.
»Soll ich das machen?«, fragte Fiona ruhig.
Laurel schüttelte den Kopf. »Nein, das kann nur ich tun«, sagte sie mit einem sonderbaren Gefühl der Sicherheit. Sie schob das große Becherglas vor sich und berührte es dabei zum ersten Mal. Aus Chelseas Finger quoll ein Blutstropfen. Sie sah noch erschöpfter aus als Laurel, doch gleichzeitig war sie so gespannt, dass es gar nicht richtig wehtat.
»Avalons letzte Chance«, murmelte Laurel atemlos. Und Tamanis , dachte sie. Dann neigte sie Chelseas Finger ein wenig und ließ vorsichtig einen Blutstropfen in die Lösung fallen, die sie mit einem langen Bambuslöffel umrührte.
Das Blut hatte die Lösung kaum berührt, als sie sich verwandelte . Laurel rührte weiter und hatte wahre Glücksgefühle, als die durchsichtige Mischung sich violett färbte. Die Schattierung passte zu dem Fläschchen, das sie nur kurz in Kleas Hand gesehen hatte. Es hatte funktioniert! Alle Bestandteile schienen gleichzeitig zu erwachen, bis sich die Kraft des Grundstoffs verzehnfachte – ja vertausendfachte! Als Laurel kichern musste, packte Chelsea ihren Arm.
»Hat es geklappt?«
Laurel war sich ihrer Sache so sicher, dass sie einen Finger in die Mixtur tunkte.
Das Gift hatte nicht den Hauch einer Chance.
»Es wirkt! Es wirkt! Oh, Chelsea, es hat geklappt!« Laurel war schwindelig vor Erleichterung. »Bitte«, rief sie Fiona zu, »ich brauche Phiolen. Schnell!«
Sie musste sofort zu Tamani.
Als Laurel aus dem Wald stürmte, war es auf der matt beleuchteten Lichtung so still, dass sie Angst hatte, niemand wäre mehr am Leben.
Tamanis Kopf lag auf Davids Bein. »Ich glaube, er atmet noch«, sagte David, sobald sie über den Graben gesprungen und neben Tamani auf die Knie gefallen war. »Aber er hat seit fünf Minuten nicht mehr die Augen aufgemacht.«
Tamani hatte das Hemd nicht wieder angezogen. Seine Brust und seine Schultern waren in Schwarz gebadet. Laurel nahm sein Gesicht in beide Hände und spürte, wie das Gift auf sie übergehen wollte, doch das Viridefaeco, das sie noch in der Akademie eingenommen hatte, wehrte den Versuch problemlos ab.
»Na, wolltest du … dich … verabschieden?«, fragte Klea mit schütterem Gelächter. Obwohl sie von dem Gift aufgequollen war und im Sterben lag, spielte sie noch immer die böse Hexe.
»Bitte bleib am Leben«, flehte Laurel, als sie Tamani das Gegengift verabreichte und danach seinen Mund schloss.
Die Sekunden schleppten sich dahin. Sie wartete. Laurel kamen die Tränen, als sie ihn am Arm zog, damit er endlich ein Lebenszeichen von sich gab. Das Serum hatte sie fast augenblicklich geheilt – warum war es bei ihm nicht genauso? Eine Minute verging.
Nach zwei Minuten fasste David sie am Arm. »Laurel, ich …«
»Nein!«, schrie sie und schüttelte ihn ab. »Es wird helfen, gleich wirkt es, anders kann es gar nicht sein! Tamani, bitte!« Sie beugte sich über ihn und drückte ihr Gesicht an seine Brust, um ihre Tränen zu verbergen. Sie wünschte, auch Elfen hätten einen Herzschlag, an dem sie erkennen könnte, ob er noch lebte. Er durfte nicht sterben. Sie wusste wirklich nicht, wie sie auch nur den nächsten Augenblick überstehen sollte, falls er nicht mehr bei ihr wäre. Wozu sollte das alles gut sein, wenn sie letzten Endes zu spät gekommen wäre, um Tamani zu retten? Laurel richtete sich auf und untersuchte sein Gesicht auf ein Lebenszeichen. Eine Locke hing ihm halb im Auge. Sie strich sie müde und mit schwerer Hand in die Stirn zurück.
Doch noch in der Bewegung hielt sie inne. Die winzigen schwarzen Ranken, die sich fast schon über sein Gesicht winden wollten, zogen sich zurück. Sie musterte sie mit schmalen Augen: Hatte sie sich das nur eingebildet?
Weitere Kostenlose Bücher