Elfenherz
Treppe auf und sah auf Val hinunter. Seine Stimme war tief und leise wie eine Trommel. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum du zurückgekommen bist. Gibt es etwas, wonach du verlangst?«
»Die letzte Lieferung«, antwortete sie. »War sie für eine... Meerjungfrau? Sie ist tot.«
Der Troll schwieg, starrte sie an.
Val musste schlucken. »Sie sieht aus, als wäre sie schon eine Weile tot.«
Ravus kam mit wehendem Gehrock die Treppe hinunter.
»Das musst du mir zeigen.« Seine Gesichtszüge veränderten sich im Näherkommen; die grüne Haut wurde blasser und die Gestalt menschlicher, bis er wie ein schlaksiger Junge aussah, nur wenig älter als Luis - ein Junge mit seltsamen goldenen Augen und struppigen schwarzen Haaren.
»Du hast vergessen, deine Augen...«, sagte Val.
»So ist das mit dem Schutzschild«, wurde sie von Ravus unterbrochen. »Irgendeinen Hinweis auf die Herkunft gibt es immer. Die Füße nach hinten, ein Schwanz, ein ausgehöhlter Rücken - irgendeinen Schlüssel zur wahren Natur.«
»Ich gehe dann mal«, sagte Luis. »Ich war sowieso schon fast weg.«
»Ich hatte eine interessante Unterhaltung mit Luis über dich und unsere erste Begegnung«, sagte der Troll. Es war verwirrend, diese tiefe, volle Stimme von einem jungen Mann zu hören.
»Oh ja«, sagte Luis mit einem feinen Lächeln. »Er hat Konversation gemacht, ich habe gekatzbuckelt.«
Das entlockte wiederum Ravus ein Lächeln, aber selbst für einen Mann waren seine Schneidezähne ein wenig zu lang geraten. »Ich glaube, dieser Tod betrifft auch dich, Luis. Warte noch ein wenig mit dem Schlafen, mal sehen, was wir dort erfahren.«
Als Ravus, Val und Luis am Ufer ankamen, waren nur die Wellen zu hören, die an die Steine der Uferböschung
klatschten. Die Leiche der Meerjungfrau lag noch da, das Haar in der Strömung wie Seegras. Die Ketten aus Muscheln, Perlen und Sanddollar hatten sich an ihrer Kehle zu würgenden Strängen verheddert und das weiße Gesicht ähnelte dem Spiegelbild des Mondes auf dem Wasser. Kleine Fische flitzten um ihre Leiche und in und aus ihrem offenen Mund.
Ravus kniete nieder und nahm den Hinterkopf der Meerjungfrau in seine langen Finger, um ihren Kopf anzuheben. Dabei ging ihr Mund noch weiter auf und enthüllte dünne, durchsichtige Zähne, wie aus Knorpel. Ravus brachte sein Gesicht so nahe an das der Meerjungfrau, dass Val einen Augenblick lang glaubte, er wolle sie küssen. Stattdessen schnüffelte er zweimal, bevor er sie sanft ins Wasser zurücklegte.
Er sah Luis mit verschatteten Augen an, warf dann seinen Gehrock ab und breitete ihn auf dem Boden aus. Er wandte sich an Val: »Wenn du ihren Schwanz nimmst, können wir sie auf das Tuch legen. Ich muss sie in mein Arbeitszimmer bringen.«
»Ist sie vergiftet worden?«, fragte Luis. »Weißt du, wie sie umgebracht wurde?«
»Ich habe eine Theorie«, antwortete Ravus. Er strich sich mit der nassen Hand die Haare aus dem Gesicht und watete in den East River.
»Ich helfe dir«, sagte Luis und wollte zu ihm gehen.
Ravus schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Mit dem Eisen, das du so gerne trägst, würdest du ihre Haut versengen.
Ich will nicht, dass die Beweislage noch mehr verfälscht wird.«
»Das Eisen gibt mir Sicherheit«, sagte Luis und berührte sein Lippenpiercing. »Etwas mehr Sicherheit zumindest.«
Ravus lächelte. »Zumindest rettet es dich vor einer unangenehmen Aufgabe.«
Val watete ins Wasser und hob den glitschigen Schwanz hoch, der am Ende gezackt war wie zerrissener Stoff. Die Fischschuppen glitzerten wie flüssiges Silber, als sie von Vals Hand blätterten. An der Flanke des Meerjungfrauenkörpers war stellenweise bleiches Fleisch zu sehen, wo die Fische sich bereits gütlich getan hatten.
»Was für ein läppisches Drama ihr hier aufführt«, sagte eine Stimme, die aus der Senke zwischen den Hügeln kam.
»Greyan.« Ravus schaute auf die Schatten.
Val erkannte das Wesen, das nun vortrat. Es war der Hersteller der Schaufensterpuppen mit dem grünenden Bart. Doch hinter ihm standen Elfen, die sie nicht kannte, Elfen mit langen Armen und geschwärzten Händen, mit Vogelaugen, Katzengesichtern und ramponierten Flügeln, die so dünn waren wie Rauch und so hell wie die Neonreklame einer Bar in der Ferne.
»Noch ein Todesfall«, sagte eine von ihnen, worauf leises Gemurmel folgte.
»Und was hast du diesmal geliefert?«, fragte Greyan. Das Publikum quittierte diese Frage mit freudlosem Gelächter.
»Ich bin gekommen, um
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