Elfenherz
entdeckte sie Luis ausgestreckt auf der Terrasse, die sich über einem See und einem Baseballfeld erhob. Tief, nass und zart küsste er Lolli.
»Wusste ich’s doch, dass du gar nicht vorhattest, zum Zug zu kommen«, sagte Ruth und schüttelte den Kopf.
»Du hast mir versprochen, den Zug zu nehmen, auch wenn ich nicht auftauche«, erwiderte Val, die sich um echten Ärger bemühte. Doch sie hatte nur lahme Worte zu ihrer Verteidigung zu bieten.
Ruth verschränkte die Arme.
»Egal.«
»Wo ist Dave?«, fragte Val und schaute sich um. Es wurde immer dunkler im Park und sie konnte ihn nirgends entdecken.
Ruth zuckte die Achseln und hob einen Becher hoch, der neben ihren Füßen stand. »Er ist abgehauen, um nachzudenken oder so was. Luis ist hinter ihm her, aber dann doch allein zurückgekommen. Wetten, er flippt aus? Mann, ich flippe ja schon aus - diese Frau hat sich in einen Hund verwandelt und jetzt ist sie tot.«
Val wusste nicht, wie sie Ruth das erklären sollte, zumal es alles nur noch viel schlimmer machen würde. Es war besser, wenn Ruth glaubte, die Polizistin hätte sich selbst in einen Hund verwandelt, als wenn sie wüsste, dass sie von jemand anderem verwandelt worden war. »Das wird Dave nicht gerade freuen.« Val zeigte mit dem Kinn auf
Lolli und Luis, ohne im Geringsten auf die Frage der Magie einzugehen.
Ruth schnitt eine Grimasse. »Absolut ekelhaft. Herzlos, diese Schweine.«
»Ich raffe es nicht. Die ganze Zeit ist sie hinter ihm her und ausgerechnet jetzt lässt er sie ran?« Val verstand gar nichts mehr. Luis war ein Arschloch, aber sein Bruder lag ihm am Herzen. Es sah ihm überhaupt nicht ähnlich, Dave allein im Central Park herumirren zu lassen, während er sich mit einem Mädchen amüsierte.
Ruth runzelte die Stirn und hielt Val den Becher hin. »Das sind deine Freunde. Hier, trink einen Schluck Tee. Ist zwar eklig süß, aber wenigstens warm.«
Val nippte an dem Tee und wärmte mit der warmen Flüssigkeit ihre Kehle. Sie versuchte zu verdrängen, dass ihre Hände zitterten.
Luis löste sich von Lolli und begrüßte Val mit einem schiefen Grinsen. »Hey, seit wann bist du denn da?«
»Hat einer von euch ein bisschen Nimmer?«, platzte Val heraus. Sie hatte das Gefühl, die Schmerzen nicht eine Sekunde länger ertragen zu können. Sogar ihr Kiefer war verkrampft.
Luis schüttelte den Kopf und sah Lolli an. »Nein«, sagte sie. »Ich habe es fallen lassen. Gab es bei Ravus nichts?«
Val holte tief Luft und versuchte, nicht in Panik zu verfallen. »Er war nicht da.«
»Hast du Dave auf dem Weg hierher getroffen?«, fragte Lolli.
Val schüttelte den Kopf.
»Kommt, wir gehen zu unserem Pennplatz«, sagte Luis. »Ich glaube, es ist dunkel genug, dass uns keiner sieht.«
»Findet Dave uns da?«, fragte Ruth.
»Bestimmt«, erwiderte Luis. »Er weiß, wo er suchen muss. Wir haben da schön häufiger gepennt.«
Val biss frustriert die Zähne zusammen, aber sie folgte den anderen, als sie über das Eingangstor auf der einen Seite des Schlosses kletterten und die Felsen dahinter nach unten hinabstiegen. Sie erreichten einen schattigen Felsvorsprung, der von einem großen Felsblock überragt wurde, sodass er einigermaßen geschützt lag. Val sah, dass sie den Vorsprung bereits mit Pappe ausgekleidet hatten.
Luis setzte sich und Lolli lehnte sich gegen ihn. Ihr fielen langsam die Augen zu. »Morgen schnorre ich uns was Besseres zusammen«, sagte Luis und beugte sich vor, um sie zu küssen.
Ruth legte einen Arm um Val und seufzte: »Ich fasse es einfach nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte Val, weil ihr auf einmal alles gleich unglaublich erschien, ebenso willkürlich wie surreal. Es kam ihr merkwürdiger vor, dass Ruth auf Pappe im Central Park übernachtete, als dass es Elfen gab.
Luis schob seine Hände unter Lollis Rock und Val trank noch einen Schluck Tee. Sie ignorierte die aufblitzende Haut, das Funkeln der Ringe, und hörte bei den feuchten Geräuschen und dem Gekicher weg. Als sie den Kopf drehte, war Luis’ Hose so weit hoch gerutscht, dass sie die
Innenseite seines Knies erkennen konnte.Und dort entdeckte sie verbrannte Stellen, die nur vom Nimmer stammen konnten.
Als Ruths Atem gleichmäßiger wurde und Lollis und Luis’ Atem sich zu etwas anderem steigerte, biss Val sich auf die Unterlippe und kämpfte gegen die Schmerzen des Entzugs.
10
Gift liebt auch der nicht,
der Gift nötig hat.
WILLIAM SHAKESPEARE,
RICHARD II.
I m Laufe der Nacht ging es Val zusehends
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