Elfenkuss
bis morgen.«
Laurel verabschiedete sich und legte auf. Sie lächelte noch, als sie die Treppe, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hochhüpfte.
Vier
A m Samstagmorgen öffnete Laurel gegen Sonnenaufgang blinzelnd die Augen. Das machte ihr nichts aus – sie war ein Morgenmensch, war es immer schon gewesen. Normalerweise erwachte sie eine Stunde vor ihren Eltern, was es ihr ermöglichte, allein spazieren zu gehen, die Sonne im Rücken und den Wind auf den Wangen, bevor sie stundenlang in der Schule hocken musste.
Nachdem sie einen Sommerrock und ein Top angezogen hatte, holte sie die alte Gitarre ihrer Mutter aus der Gitarrentasche an der Hintertür und schlüpfte leise hinaus in die kühle Stille des frühen Morgens. Jetzt, Ende September, war es vorbei mit dem strahlend klaren Wetter, stattdessen waberte der Nebel vom Meer her über die Stadt, wo er bis zum frühen Nachmittag hängen blieb.
Laurel nahm einen schmalen Pfad, der sich bis an ihren Hinterhof heran schlängelte. Für so ein kleines Haus war das Grundstück erstaunlich groß, und Laurels Eltern hatten vor, später eventuell noch anzubauen. Im Hof spendeten mehrere Bäume Schatten und Laurel hatte fast einen Monat lang mit ihrer Mutter Blumen und Ranken vor und an die Hauswände gepflanzt.
Es war ein Reihenhaus mit Nachbarhäusern an beiden Seiten, aber wie viele Häuser in Crescent City lag es direkt an einem naturbelassenen Waldstück. Obwohl ihr Grundstück also eigentlich nur bis zum Waldrand reichte, wanderte Laurel immer weiter über verschlungene Pfade bis zu einer kleinen Schlucht. Mitten hindurch lief ein Bach, parallel zu den Häusern.
An diesem Morgen ging sie zum Bach hinunter und setzte sich ans Ufer. Sie steckte die Füße hinein, denn morgens, bevor die Käfer und Schnaken auf Nahrungssuche wie Pünktchen auf dem Wasser hockten, war es noch schön klar und kalt.
Sie legte sich die Gitarre auf die Knie und zupfte einige Akkorde, die sich allmählich zu einer Melodie verdichteten. Es machte Spaß, die Weite mit Musik zu erfüllen. Laurel hatte vor drei Jahren angefangen zu spielen, als sie die alte Gitarre ihrer Mutter auf dem Speicher gefunden hatte. Sie brauchte dringend neue Saiten und musste gestimmt werden, doch dazu konnte Laurel ihre Mutter überreden. Sie hatte ihr das Instrument geschenkt, aber Laurel fand es noch immer schöner, sich vorzustellen, es gehöre ihrer Mutter; das war romantischer, wie alter Familienbesitz.
Ein Insekt landete auf ihrer Schulter und lief ihren Rücken hinunter. Als Laurel danach schlug, fühlte sie etwas auf ihrer Haut. Sie streckte den Arm noch weiter aus und suchte. Es war noch da, ein runder Knubbel, knapp groß genug, um ihn unter der Haut zu erspüren. Sie verrenkte sich den Kopf, konnte aber nicht weit
genug über ihre Schulter gucken. Sie berührte den Knubbel noch mal, um herauszufinden, was es sein konnte. Schließlich stand sie frustriert auf und ging nach Hause, um in den Spiegel zu sehen.
Nachdem sie die Badezimmertür abgeschlossen hatte, setzte Laurel sich auf die Toilette und drehte sich so, dass sie ihren Rücken im Spiegel sehen konnte. Endlich entdeckte sie den Knubbel direkt zwischen ihren Schulterblättern: einen kleinen leicht erhabenen Kreis, kaum wahrnehmbar. Versuchsweise drückte sie ein wenig darauf herum, was nicht wehtat, aber irgendwie kribbelte. Es sah aus wie ein Pickel. Wie tröstlich , dachte Laurel genervt. Auf eine total untröstliche Art.
Laurel hörte die leisen Schritte ihrer Mutter auf den knarrenden Dielen im Flur und streckte den Kopf aus der Badezimmertür. »Mom?«
»Küche«, rief ihre Mutter gähnend zurück.
Laurel folgte der Stimme. »Ich habe einen Knubbel am Rücken. Kannst du mal gucken?«, fragte sie und drehte ihrer Mutter den Rücken zu. Ihre Mutter drückte sanft auf die Stelle und kam zu dem Schluss: »Nur ein Pickel.«
»Habe ich mir schon gedacht«, sagte Laurel und ließ ihr Top wieder runter.
»Aber du hast nie Pickel.« Ihre Mutter zögerte. »Geht es etwa los … mit … du weißt schon?«
Laurel schüttelte heftig den Kopf. »Kommt halt vor«, sagte sie matt mit einem kleinen Lächeln. »Das gehört zur Pubertät, sagst du doch selbst immer.« Sie drehte
sich um und verschwand, bevor ihre Mutter noch mehr Fragen stellen konnte.
Als sie wieder in ihrem Zimmer war, befühlte sie den Knubbel. Sie kam sich seltsam normal vor, weil sie nun ihren ersten Pickel bekam; es war wie ein Übergangsritual, das zum Erwachsenwerden
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