Elfenkuss
ihren Mann an. »Damals, als wir uns kennengelernt haben. Was waren wir für Hippies!«
Laurel warf einen Blick auf den langen Zopf ihrer Mutter und die Birkenstocksandalen ihres Vaters und sagte ironisch: »Und was ihr jetzt für Hippies seid!«
»Ach, das ist nichts dagegen. Damals waren wir echte Hippies.« Laurels Mutter legte ihre Hand in die ihres Mannes und sie verschränkten die Finger. »Ich habe die Gitarre immer zu Sit-ins mitgenommen. Dann spielte ich total falsch ›We shall not be moved‹ und alle grölten mit. Erinnerst du dich?«
Ihr Vater lächelte und sagte kopfschüttelnd mit einem ironischen Unterton: »Die guten alten Zeiten.«
»Ach, komm, wir hatten unseren Spaß.«
»Wenn du meinst.« Er beugte sich vor, um sie zu küssen.
»Macht es euch was aus, wenn ich ein bisschen herumwandere?«, fragte Laurel und hängte sich die Gitarre um. »Ich komme gleich wieder und helfe euch.«
»Mach nur«, sagte ihre Mutter und wühlte in der Kiste.
»Bis später«, sagte Laurel, die bereits auf dem Weg hinters Haus war.
Die breitblättrigen Laubbäume und die Kiefern des Waldes warfen ihre Schatten auf den weichen grünen Blätterteppich. Dunkelgrünes Moos kroch an den Baumstämmen hoch und verbarg die raue Rinde. Wohin man auch blickte, alles war grün. Am Morgen hatte es etwas geregnet, die Sonne schien und verwandelte Millionen von Wassertropfen in Glitzerkugeln, die jede Fläche funkeln ließen wie einen Smaragd. Zwischen den Bäumen verliefen sich die Wege in der Dunkelheit und Laurel ging langsam über einen dieser Pfade.
Es war leicht, sich vorzustellen, sie liefe auf heiligem Boden – auf den Ruinen einer majestätischen Kathedrale aus lang vergangenen Zeiten. Sie lächelte, als sie einen moosbedeckten Ast sah, der von einem dünnen Sonnenstrahl beleuchtet wurde. Sie strich mit der Hand darüber, bis die schimmernden Tropfen ihr aus den Fingern fielen und im Fallen das Licht einfingen.
Als sie bereits einige Minuten außer Sichtweite ihrer Eltern war, schob Laurel die Gitarre nach vorne und löste den Schal. Mit einem Seufzer der Erleichterung hob sie ihr T-Shirt an, um die Blütenblätter sich entfalten zu lassen. Nachdem sie fast den ganzen Tag festgebunden gewesen waren, sehnten sie sich nach Freiheit. Gemächlich streckten sich die Blüten aus wie geschundene krampfende Muskeln, während Laurel weiter dem schmalen laubbedeckten Weg folgte. In der Ferne
hörte sie einen Bach gurgeln und franste sich durch die Pflanzenwelt in seine Richtung. Als sie ihn kurz darauf gefunden hatte, sank sie auf einen Stein am Ufer, schleuderte ihre Flip-Flops von sich und ließ die Zehen in das eisige Wasser baumeln.
Sie hatte diesen Bach schon immer geliebt. Das Wasser war so klar in der stetigen Strömung, dass man bis auf den Grund sehen konnte, wo die Fische hin und her sausten. Wo der Bach in kleinen Wasserfällen über die Felsen sprang, schäumte er in vollkommenem Weiß wie dicke eiskalte Seifenblasen. Eine Szenerie wie geschaffen für eine Postkarte.
Laurel stimmte ihren Lieblingssong von Sarah McLachlan an und summte leise mit, eingehüllt in den Duft der Blume.
Nach der ersten Strophe zuckte ihr Kopf hoch, als sie links von sich etwas rascheln hörte. Sie lauschte und meinte, ein leises Flüstern zu hören. »Mom?«, rief sie zögernd. »Dad?«
Laurel lehnte die Gitarre an einen Baum und löste den Knoten im Schal, den sie sich ums Handgelenk geschlungen hatte. Sie wollte die Blütenblätter lieber wieder verstecken, ehe ihre Eltern sie sahen.
Als sie den langen Seidenschal nicht sofort lockern konnte, hörte sie erneut ein Rascheln, diesmal sogar lauter. Ihr Blick raste zu dem Fleck über ihrer linken Schulter, wo das Geräusch herkam. »Hallo?« Sorgfältig faltete Laurel die weichen Blüten und band sie sich um die Taille. Sie wollte sie gerade mit dem Schal
zubinden, als eine Gestalt hinter einem Baum hervortaumelte, als wäre sie geschubst worden. Der Fremde warf dem Baum einen schnellen empörten Blick zu und wandte sich dann Laurel zu. Sein Zorn verrauchte und eine unerwartete Wärme trat in seinen Blick. »Hallo«, sagte er lächelnd. Laurel hielt die Luft an, wollte zurückweichen, aber sie rutschte auf einer Wurzel aus und ließ im Fallen die Blätter los, um sich festzuhalten.
Es war zu spät, um sie zu verstecken; sie streckten sich zu voller Größe.
»Nein, bitte nicht …! Oh je, es tut mir leid. Kann ich dir helfen?«, fragte der Fremde.
Laurel schaute in seine
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