Elfenlicht
tote und verwundete Trolltrottel waren dort. Und kleinere, zartere Körper. Gestalten, die aussahen wie er. Gerne wäre er hinuntergegangen, um sie sich näher anzusehen.
»Komm, Klaves!«, befahl Nikodemus. »Wir gehen zurück zur Herde.« Klaves zögerte kurz. Er musste dem Kommandanten folgen. Er war sein Diener. Was er selbst gern tun würde, zählte nicht.
DER WOLKENSPIEGEL
Eine eisige Windböe empfing sie auf dem Pass. Mag hatte Ulric von diesem Ort und seinen Besonderheiten erzählt. Der Prinz von Firnstayn blickte blinzelnd zu der strahlend weißen Gletscherzunge, die sich in den weiten See vor ihnen schob. Irgendwo dort oben im Eis war Mag, um über sie zu wachen. Unerklärlicherweise schien der Veteran aus Phylangan völlig unempfindlich gegen Kälte zu sein.
Halgard lenkte ihre Stute an seine Seite. Sie legte den Kopf zurück und blickte in den weiten, wolkenlosen Himmel. Wie ein riesiger Spiegel lag der See vor ihnen. Himmel, Berge und Gletscher betrachteten in ihm ihre Ebenbilder.
»Was für ein wunderbarer Ort«, flüsterte Halgard, als fürchte sie, mit ihrer Stimme die stille Majestät der Berge zu stören. »Wie heißt der See?«
»Er hat keinen Namen«, sagte Ulric leichthin. »Vor uns sind erst wenige Menschen hier gewesen. Ich schenke ihn dir.«
Sie lachte. »Du bist verrückt!«
»Ich bin der Sohn des Königs. Alles Land, das niemand bebaut, gehört dem König. Und mein Vater wird es mir nachsehen, wenn ich einen See verschenke, den bislang kaum jemand kennt.«
Halgard schluckte. Einen Augenblick schien es, als wolle sie in Tränen ausbrechen. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Der Morgen war schlimm gewesen. Sie hatte entdeckt, dass der große schwarze Hund seines Vaters Blut pisste. Daraufhin hatte sie wieder die drei verfluchten Lebensfäden aus den Holzpuppen geholt und sie nebeneinander gelegt. Manchmal verbrachte sie halbe Tage damit, die Fäden anzustarren und auszurechnen, wann sie sterben würden.
»Ein so wunderschöner Ort sollte einen Namen haben«, sagte sie. Ein scheues Lächeln spielte um ihre Lippen. Manchmal waren ihre Launen schon sonderbar. Von einem Herzschlag zum nächsten konnte ihre Stimmung von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt wechseln.
»Du wirst ja wohl nicht erwarten, dass ich dir die Mühe abnehme, für deinen See einen Namen zu finden. Mir würde nur so ein Unsinn wie Halgards Spiegel einfallen.« In Wahrheit hatte er sich den halben Weg hier hinauf Gedanken darüber gemacht, mit welchem Namen er ihr eine Freude bereiten könnte.
»Nein, das wäre kein guter Name. Es wäre fürchterlich anmaßend, so etwas Schönes nach mir zu benennen.«
»Aber du bist schön!«, begehrte er auf.
»Ich liebe es, von dir geliebt zu werden.« Ihr Lächeln ließ ihn alle Traurigkeit vergessen. Vielleicht würde sein Plan doch noch gelingen. Er wollte, dass sie einen wunderbaren, unvergesslichen Tag erlebten. Auf viele Tage durften sie nicht mehr hoffen. Und jede Stunde konnte das Wetter umschlagen und das Blau des Himmels für Wochen verschwinden lassen. Bis ans Ende ihrer Tage ...
»'Wolkenspiegel' wäre doch ein schöner Name«, sagte sie gut gelaunt.
»Hast du gehört, welchen Namen dir die schönste Maid des Fjordlands ausgesucht hat?«, rief er lauthals auf den See hinaus. »Von heute an bist du der Wolkenspiegel!«
»Danke«, sagte Halgard unvermittelt.
Ulric lächelte ein wenig verlegen. »Warte ab, was ich mir noch überlegt habe, bevor du mir dankst. Ich hatte vor, mit dir schwimmen zu gehen.«
Sie sah ihn mit großen Augen an. »Hier? Das Wasser muss doch eisig sein!«
»Ich sagte doch, dass es zu früh ist, um mir zu danken.« Er trieb seinen Braunen voran. »Komm, ich zeig dir etwas.«
Dicht am Ufer gab es einen großen Felsen, in den eine Nische gebrochen war, die den Ort vor dem Wind und vor Blicken schützte. Dort war eine Feuerstelle vorbereitet, und ein stattlicher Stapel Brennholz lag unter einem Überhang aufgeschichtet.
Halgard runzelte die Stirn. »Da hat sich jemand reichlich Mühe gemacht. Die Baumgrenze liegt doch mehr als eine Wegstunde hinter uns.«
»Es hat ein paar Vorteile, der Sohn des Königs zu sein«, sagte Ulric gut gelaunt und schwang sich aus dem Sattel. Er sah sich nach dem Holzstecken um, den Mag hier irgendwo in den Boden gerammt haben musste. Als er ihn fand, schlang er die Zügel darum. Der Schatten des Steckens war auf wenige Finger Breite geschrumpft. Prüfend blickte Ulric zum Himmel. Die Mittagsstunde
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