Elfenlicht
so niederzuschreiben, wie sie mir in der Steppe südlich von Talsin erzählt wurde, denn es heißt, in einem der Hügel dort ruhe der Leib des Orimedes, und ich hatte das Gefühl, dass Sage und Wirklichkeit in der Nähe seines Grabes näher beieinander liegen als anderswo in den Weiten des Graslands ...
Es begab sich zu jener Zeit, als Fürst Orimedes die Trolle vom Mordstein besiegte, dass sich die Völker der Steppe und die Bronzereiter von Uttika nach Jahrhunderten der Feindschaft wieder näherten. Um diesen Bund zu festigen, beschlossen die Fürsten Orimedes und Katander, ihre beiden Kinder Nestheus und Elena miteinander zu vermählen. Nestheus war ein Recke mit einem Fell weiß wie der erste Herbstschnee; in der Schlacht am Mordstein hatte er allein an die hundert Trolle erschlagen. Sein Blick war wie Blitzschlag, sein Schwert der Tod seiner Feinde, und er war ein so ausdauernder Läufer, dass er den Weg von Feylanviek nach Talsin in drei Tagen zurücklegen konnte, was seither noch niemandem gelang. Elena aber, Katanders Tochter, war eine große und massige Stute. Sie hatte ein hübsches Antlitz und war von friedlichem Wesen. Doch überragte sie den Helden um mehr als Haupteslänge, was Neider zu manch bösem Scherz trieb. Dies hätte einer Hochzeit gewiss nicht im Wege gestanden, hätte Nestheus sein Herz nicht an die bezaubernde Kirta verloren. Manche sagen, sie sei eine Schamanin gewesen und habe den Recken verhext. Andere hingegen sagen, ihre Schönheit allein sei machtvoller als jeder Zauberbann gewesen. Ihr verfiel der Recke Nestheus, und lange vor der Schlacht am Mordstein hatte er ihr schon seine Liebe geschenkt. Immer wieder bat Nestheus seinen Vater, die Hochzeitspläne aufzuheben, doch der Fürst wollte davon nichts hören. In Ketten ließ er seinen Sohn auf den Hügel schaffen, auf dem die Brautfeierlichkeiten abgehalten werden sollten, und die Zeremonie hatte schon begonnen, da trat Kirta unter den Gästen hervor und forderte ihren Liebsten ein. Und als sie auf den Hügel trabte, da sah Elena neben ihr so unscheinbar aus wie eine Motte neben dem herrlichsten Schmetterling. Orimedes aber befahl seinen Wachen, die Hexe zu ergreifen, und schwor, ihr mit seinem Schwerte das Herz aus dem Leibe zu schneiden, um seinen Sohn von ihrem Zauberbann zu befreien.
Da rief Nestheus in seiner Not den Sanhalla, den Südwind, zu Hilfe, der ihm schon in der Schlacht am Mordstein geholfen hatte, seine Feinde zu besiegen. Und der Wind hob die beiden Liebenden in die Höhe und trug sie weit fort in die Steppe, wo sie sicher sein konnten vor dem Zorn des Orimedes.
Der Fürst der Pferdemänner aber ließ verkünden, dass er jenem sein Gewicht in Gold schenken wolle, der ihm die Köpfe von Nestheus und Kirta bringe. Nur wenige aus den Völkern der Steppe erlagen der Verlockung des Reichtums. Es waren vor allem Söldner, die aus den fernsten Ländern herbeieilten, um die beiden Liebenden zu stellen. Zahllos sind die Abenteuer, die Nestheus und Kirta in jenem Herbst und Winter erlebten, die auf ihre Flucht vom Hochzeitshügel folgten. So überlisteten sie den berühmten Bogenschützen Fingayn in den engen Tälern der Rejkas und entgingen der Silbernen Horde, einer berüchtigten Schar von Kopfgeldjägern aus Uttika, indem sie sich während eines Schneesturms, der über drei Tage dauerte, in einer Erdhöhle einschneien ließen. Obwohl Orimedes jeden mit schweren Strafen bedrohte, der den Flüchtlingen half, gab es viele Stämme, die ihnen für eine Nacht oder zwei Zuflucht gewährten oder ihnen zumindest Vorräte zusteckten, wenn sie den beiden begegneten. Nur einen Winter dauerte es, Nestheus und Kirta zu einer Legende unter den freien Stämmen des Windlands werden zu lassen. Denn das Volk der Steppe liebt Geschichten von unbeugsamen Rebellen, die ihre Freiheit nicht opfern wollen.
Es war während eines der ersten Frühlingstage, dass Nestheus und Kirta am kiesigen Ufer des Swatja von drei Verfemten gestellt wurden, Kentaurenkriegern, die von ihren Stämmen verstoßen worden waren und nun als Räuber und Söldner lebten. Ohne die Gefahr zu scheuen, griff Nestheus sie an und besiegte sie alle drei, doch erhielt Kirta einen Schwertstich in den Rücken, und Blut füllte ihre Lunge, um sie langsam zu ersticken.
Unfähig, sie zu retten, hielt Nestheus seine Geliebte in den Armen. Ein drittes Mal rief er den Sanhalla um Hilfe an. Doch die Winde sind launisch. Der Sanhalla erschien, aber statt Kirta zu heilen, prophezeite er
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