Elfenliebe
Unterricht immer dort. Oder nach dem Unterricht.
Und zwischendurch.
Doch heute war er nirgends zu sehen. Vielleicht hatte er sich einfach verspätet, aber dann hätte er angerufen. Laurel versuchte, sich keine Sorgen zu machen. David gehörte eigentlich nicht zu den Schülern, die regelmäßig das erste Klingeln verpassten, aber es kam vor. Langsam holte sie ihr Spanischbuch aus dem Schließfach und bemühte sich, einen viel beschäftigten Eindruck zu machen, statt wie ein Mädchen auszusehen, das nichts Besseres zu tun hatte, als am Schließfach auf seinen Freund zu warten.
So trödelte sie weiter bis kurz vor dem ersten Klingeln
und musste dann lossprinten, um noch rechtzeitig zu Spanisch zu kommen.
Kaum war die Stunde zu Ende, stürmte sie aus dem Klassenraum, aber er war wieder nicht am Schließfach. Sie bekam schreckliche Angst und eilte ins Sekretariat, während sie sich zum tausendsten Mal wünschte, sie hätte auch ein Handy. Ihre Eltern hätten ihr ohne Weiteres eins kaufen können, aber ihre Mutter behauptete steif und fest, sie würde keines brauchen, bevor sie aufs College kam.
Eltern.
»Darf ich mal kurz telefonieren?«, fragte Laurel die Schulsekretärin, die wortlos ein schnurloses Telefon auf den Tresen legte. Laurel wählte Davids Handynummer und regte sich nur noch mehr auf, als es einmal, zwei Mal, drei Mal klingelte, ohne dass er ranging. Beim vierten Klingeln meldete sich die Mailbox. Sie hätte nach dem Piepton etwas sagen können, aber ihr fiel nichts ein. Ich mache mir Sorgen? Warum bist du nicht in der Schule?
Sie legte auf, ohne etwas zu sagen. Laurel überlegte, zu schwänzen und in der Stadt herumzufahren, um ihn zu suchen, aber abgesehen davon, dass diese Aktion wenig brachte, hatte sie in der nächsten Stunde Chemie. Wenn er nun doch noch superspät zur Schule kam, wäre sie zumindest im richtigen Kurs, um es sofort mitzukriegen.
Noch nie war ihr eine Chemiestunde so lang vorgekommen. Während der Lehrer über mehratomige Ionen redete, stellte sich Laurel immer schlimmere Dinge vor,
die David passiert sein konnten. David von Orks getötet. David von Orks entführt und gefoltert. David von Orks verschleppt, als Falle für sie, damit sie gefoltert werden konnte. Als die Stunde vorbei war, erschienen ihr all diese Möglichkeiten nicht nur glaubhaft, sondern wahrscheinlich.
Laurel lief zu dem Flur, in dem die gesellschaftswissenschaftlichen Kurse stattfanden. Chelsea kam gerade aus Geschichte. »Hast du David gesehen?«
Chelsea schüttelte den Kopf. »Ich denke immer, dass er mit dir zusammen ist.«
»Ich kann ihn nicht finden«, sagte Laurel. Es kostete sie viel Kraft, dass ihre Stimme nicht bebte.
»Vielleicht ist er ja krank«, gab Chelsea zu bedenken. Die Möglichkeit erschien selbst Laurel einigermaßen vernünftig.
»Kann sein, aber er geht nicht mal an sein Handy. Das macht er sonst immer.«
»Vielleicht schläft er.«
»Möglich.« Laurel ging zu ihrem Schließfach zurück und holte das Lehrbuch für Amerikanische Literatur. Sie betrachtete das Titelbild, und auf einmal kam es ihr völlig sinnlos vor, irgendetwas zu lesen, das jemand vor hundert Jahren geschrieben hatte. Sie legte es zurück und holte stattdessen ihr Portemonnaie heraus. Sie musste einfach nachsehen, ob er zu Hause war. Das würde nicht lange dauern, vielleicht wurde ihre Abwesenheit nicht mal bemerkt, wenn sie sich beeilte. Sie wollte gerade die Tür des Schließfachs zuwerfen, als Chelsea ihr überraschend auf die Schulter tippte.
»Da ist er doch«, sagte sie und zeigte in den Flur. David ging auf sie zu, mit einem Lächeln auf den Lippen und der Sonnenbrille auf der Nase. Ohne nachzudenken, rannte Laurel auf ihn zu. Sie prallte mit ihm zusammen und umschlang ihn, so fest sie konnte.
»Äh, hallo!«, sagte David und sah fragend auf sie hinunter.
Nachdem sie sich so lange die schlimmsten Sachen vorgestellt hatte, stieg bei seinem beiläufigen Tonfall heiße Wut in ihr auf. Sie packte sein T-Shirt mit beiden Händen und schüttelte ihn ein bisschen. »Du hast mich zu Tode erschreckt, David Adam Lawson! Wo warst du denn bloß?«
David sah durch den Flur zum Schultor. »Komm mal mit raus«, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.
»Was meinst du damit?«
»Komm, wir machen was zusammen, etwas, das Spaß macht.«
Sie sah sich verstohlen um. »Schwänzen?«
»Jetzt tu nicht so. Du hast gleich Literatur. Wie stehst du da? Bist du zufällig die Beste? Komm mit!«
Sie zog eine Augenbraue hoch und
Weitere Kostenlose Bücher