Elfenmeer: Roman (German Edition)
viele gerettet.«
»Sie sind alle tot.«
»Das weißt du nicht.«
»Die Königin ist vielleicht auch schon tot.«
»So dumm sind die Piraten nicht.«
Marinel seufzte, und sie setzten ihren Weg schweigend fort. Sie verließen den Strand und gingen einen grasbewachsenen Hügel hinauf, wobei sie sich durch dichtes Gestrüpp kämpfen mussten. Als Marinel strauchelte, streckte Valuar ihr die Hand entgegen, um sie das letzte Stück den Hang hochzuziehen, doch Marinel ignorierte ihn. Sie ergriff den dornenbewachsenen Ast eines Strauchs und zog sich daran hinauf, ohne das Gesicht zu verziehen. Auf dem weiteren Weg durch flaches Wiesenland war sie damit beschäftigt, die Dornen mit den Fingernägeln aus ihrer rechten Handfläche zu ziehen.
Valuar schüttelte den Kopf und ließ seinen Blick über die Ebene wandern. Je grüner die Landschaft, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, Wasser zu finden. Er versuchte sich darauf zu konzentrieren, doch das Schweigen zwischen ihnen konnte er kaum ertragen. So viel Unausgesprochenes stand zwischen ihnen, aber Valuar fand einfach nicht den Mut, sich dem zu stellen. Er war ein Feigling, war es immer schon gewesen. Wenn sie ihm doch nur egal sein könnte! Wenn er nur das Bild aus dem Kopf bekäme, wie sie ihn mit ihren grünen Augen voller Entsetzen angesehen hatte, ehe er seiner Schwäche verfallen war. Immer noch liebte er sie, bewunderte sie – vielleicht sogar noch mehr als einst. Doch welches Recht hatte er auf diese Gefühle? Welches Recht hatte er darauf, eifersüchtig zu sein? Auf Nevliin, der ihr einst diesen albernen Anhänger geschenkt hatte, auf Elrohir von Lurness, der seinen Arm um sie legen durfte und Tag und Nacht im Stall mit ihr zusammengewesen war, auf diesen zwielichtigen Esteraz von Riniel, der viel zu oft allein mit ihr verschwunden war, und auf den Piraten! Dieser verfluchte Pirat hatte Marinel auf eine Weise angesehen – Valuar zog die Augenbrauen zusammen –, als wäre sie etwas ganz Besonderes. Ob der Pirat sie wohl jemals so verletzt hätte, wie er selbst es getan hatte? Und ob er selbst sie genauso ansah wie dieser Pirat?
Ein Seufzer entfuhr ihm, und Marinel warf ihm einen kurzen Blick zu. Anstatt jedoch etwas zu sagen, schnaubte sie nur und blickte dann wieder nach vorn.
Valuar biss die Zähne zusammen. Es war fast schon wie bei der Ritterprüfung damals, als er um Worte gerungen hatte. Doch einst hatte die Liebe seine Sprache gehemmt, nun war es die Schuld. Angst war das Einzige, was beide Situationen gemein hatten. Furcht vor Marinels Reaktion. Davor, sie endgültig zu verlieren. Aber war das nicht schon längst geschehen?
Erneut warf er ihr einen Blick zu und versuchte, klare Worte zu finden. Er musste wissen, weshalb sie sich ihm gegenüber derart unterkühlt verhielt. Und dennoch hatte sie ihm gerade das Leben gerettet! Sie wusste doch nichts von den Umständen ihres Falls! Sie durfte es einfach nicht wissen! Seit wann erinnerte sie sich schon?
Valuar hatte das Gefühl, jeden Moment dem Wahnsinn zu verfallen. Das Pochen in seinem Kopf wurde immer stärker, und Valuar suchte nach einem Thema, mit dem er das Schweigen brechen und sich ihr langsam annähern könnte.
»Du bist der Magie fähig«, sagte er also bei der Erinnerung an die letzten wachen Momente vor seiner Bewusstlosigkeit. »Du weißt, das ändert alles.«
Marinel sah mit zornig funkelnden Augen zu ihm auf. Wie Smaragde, in die sich Diamanten gemischt hatten. Sie war so schön …
»Was soll das schon ändern?«, fuhr sie ihn an und ballte die Hände zu Fäusten. »Ich bin also nicht die, die ich immer dachte zu sein. Das ist alles!«
»Aber du bist mächtig, Marinel. Nie zuvor hast du die Magie angewandt, und dann konntest du es mit dem Korallenfürsten und dem Feuerprinzen aufnehmen!«
»Die beiden waren durch die Schattenkristalle in ihren Schiffen geschwächt. Der Schrot hat seine Wirkung nicht verfehlt.«
Valuar verdrehte die Augen. Er verspürte den Drang, sie zu schütteln, aber er wusste, dass er sie nicht anfassen durfte. Also beschränkte er sich darauf, sie aufmerksam zu betrachten. »Du hast eine Macht in dir, Marinel, die dir den Zugang zu den Silberrittern ermöglicht. Hast du daran noch nicht gedacht? Du bist jetzt eine Magierin.«
Unvermittelt blieb Marinel stehen und sah ihn an. In all der Aufregung schien sie die Konsequenzen ihrer Entdeckung tatsächlich noch nicht erfasst zu haben. Doch plötzlich zeichnete sich Hoffnung in ihrem Gesicht ab. Die
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