Elfenmeer: Roman (German Edition)
Seite führte ein ebenso steiler Hang mit fast hüfthohem Gras hinauf. Ein Glück, dass Marinel den Bach entdeckt hatte, so versteckt, wie er lag.
Er warf ihr einen Blick zu und beobachtete, wie sie aus ihrer Linken trank und sich schließlich Wasser ins Gesicht spritzte. Einzelne Tropfen schimmerten auf ihrer Wange, und Valuar spürte den brennenden Wunsch, sie fortzustreichen.
Seine Hand ballte sich zur Faust. Er musste endlich klar denken! So konnte es doch unmöglich mit ihm weitergehen. Eben noch hatte er gedacht, zu ihr vorgedrungen zu sein, und dann … Sein Durst war gelöscht, doch er trank noch etwas, da sie keine Wasserschläuche bei sich hatten und nicht wussten, wann sie das nächste Mal eine Quelle finden würden. Dabei dachte er fieberhaft darüber nach, wie er an den Moment von vorhin anknüpfen könnte. Er musste sie dazu bringen, sich ihm anzuvertrauen. Schließlich war gerade ihr ganzes Leben durcheinandergeraten, und sie musste darüber reden!
»Wir könnten den Befehlshaber fragen«, überlegte er laut und erhob sich. »Vielleicht hat er eine Idee, wer deine Eltern sein könnten. Schließlich kennt er sich in Adelskreisen aus und weiß, wer Schlüssel zu den Weltentoren besaß. Vielleicht siehst du ja irgendjemandem besonders ähnlich?«
»Und wenn schon!« Marinel richtete sich ebenfalls wieder auf und strich ihr weites Gewand glatt, das vom Schwertgurt an der Hüfte gehalten wurde. »Was soll das ändern? Selbstwenn ich wüsste, wer sie waren – sie haben mich fortgegeben, hast du das schon vergessen?«
»Aber irgendwoher hast du diese Macht. Willst du nicht wissen, woher sie stammt?«
»Nein.« Marinel machte einen Satz, um über den Bach ans andere Ufer zu springen. Doch sie knickte mit dem verletzten Knie auf der unebenen Oberfläche der Böschung ein und fiel platschend zurück ins kalte Nass.
Ein Schrei entfuhr ihr, der weniger von Schmerz als von Zorn herzurühren schien.
Valuar eilte ihr nach. Ohne zu zögern trat er in den Bach. Kälte umspielte seine Stiefel, doch kein Wasser drang hinein, als er sich hinabbeugte und Marinel unter den Achseln ergriff. »Komm, ich helfe …«
»Fass mich nicht an!« Marinel fuhr zu ihm herum und warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. Einen Moment lang sah sie ihm direkt in die Augen, doch dann wandte sie sich wieder ab, stemmte ihre Hände ins Gras und zog sich auf die Beine. Strauchelnd kletterte sie zurück ans Ufer und eilte die Böschung hinauf, wobei sie sich mit den Händen abstützen musste.
Valuar rannte ihr nach. Hitze rauschte durch seinen Körper, und seine Hände zitterten in dem Wunsch, sie zu packen und die Wahrheit aus ihr herauszuschütteln. Wieso stieß sie ihn ständig von sich? Was wusste sie?
»Was ist los mit dir?!«, fuhr er sie an. Er streckte seinen Arm aus und bekam sie an der Schulter zu fassen. Ohne sich noch weiter um Höflichkeiten und Bedachtsamkeit zu kümmern, riss er sie zu sich herum. »Sag mir, weshalb du dich mir gegenüber so verhältst!«
Marinell riss ihren Arm hoch, um sich aus seinem Griff zu befreien, und funkelte ihn an. »Was glaubst du denn?«, fauchte sie, drehte sich um und hinkte davon.
Valuar warf die Arme in die Höhe. Er war mit seiner Geduld am Ende. »Woher soll ich das wissen?«, rief er frustriert aus. »Du sprichst nicht mit mir, sondern gehst nur ständig auf mich los, und ich will wissen, weshalb! Sag es mir!«
»Das willst du nicht wissen, Fürstensöhnchen.«
»Ach nein?« Er eilte neben ihr her. »Lass mich das besser selbst entscheiden. Seit der Ritterprüfung bist du anders, Marinel, und ich verstehe, dass du enttäuscht bist …«
»Enttäuscht?!« Sie warf ihm einen fassungslosen Blick zu, und ihr Mund öffnete sich, als wolle sie noch mehr sagen, doch stattdessen ging sie weiter und starrte wieder geradeaus zu den silbergrauen Berghängen.
»Aber«, fuhr er fort und strich sich das lange Haar aus dem Gesicht, »ich verstehe nicht, weshalb sich all dein Zorn seither gegen mich richtet! Du bist abgestürzt, das hast du selbst dem Befehlshaber gesagt – es war ein Unfall.«
»Ich kann es nicht fassen.«
Sein Magen schien sich zu verknoten. »Wie war es dann, Marinel?« Seine Stimme zitterte, und er konnte nichts dagegen unternehmen.
Marinel sah ihn nicht an. Sie schnaubte und schüttelte den Kopf. »Es war genau so, Fürstensöhnchen«, antwortete sie voller Hass. »Genau so, wie du sagst.«
Valuar sah ihr aufmerksam ins Gesicht. Das Blut pochte in seinen Schläfen.
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