Elfenmeer: Roman (German Edition)
»Wenn du mich so verabscheust …«, er räusperte sich und kämpfte um Kraft in der Stimme – vergebens, »wieso hast du mir dann das Leben gerettet?«
Diesmal sah sie in seine Richtung, jedoch nur für einen flüchtigen Augenblick. »Ein Ritter lässt einen anderen Ritter nicht fallen«, sagte sie schließlich so leise, dass er sie fast nicht gehört hätte. Dies war nun das zweite Mal, dass sie ihn darauf aufmerksam machte. Ein Ritter lässt einen Ritter nicht fallen.
Die Ahnung wurde immer mehr zur Gewissheit, und Valuar hatte das Gefühl, seine Brust wäre plötzlich zu eng für sein Herz. Alles in ihm war in Anspannung versetzt, und sein ganzer Körper zitterte.
»Marinel, was geschah damals bei der Prüfung?«, brachte er mühsam heraus, doch sie schwieg und hinkte weiter. »Marinel …«, er kämpfte gegen den Drang, sie festzuhalten, »wieso hasst du mich so sehr?« Erneut schwieg sie, und Valuar atmete immer schneller. »Sag mir die Wahrheit. Was geschah bei der Prüfung? Sag mir, woran du dich erinnerst.« Seine Hand schoss vor, ohne dass er eine bewusste Entscheidung dazu getroffen hätte. Heiß rauschte das Blut durch seine Adern. »Was geschah während der Prüfung?!« Er schüttelte sie, genau so, wie er es schon so lange hatte tun wollen. An beiden Schultern hielt er sie fest und beugte sich zu ihr hinunter. »Sag mir, was du weißt! Sag es mir!«
Marinel riss sich los. »Gar nichts!«, schrie sie und drehte sich um, doch Valuar war an einem Punkt jenseits von Verstand und Vorsicht angelangt. Er packte sie erneut und brachte sein Gesicht vor das ihrige. Ihre grünen Augen starrten ihn an. »Sag es mir!«, brüllte er, mit dem Gefühl, jeden Moment zu zerreißen. »Was weißt du?! Sag es mir!«
»Nichts!« Sie kämpfte gegen seinen Griff, aber er ließ nicht los.
»Sag mir die Wahrheit, Marinel! Wie bist du abgestürzt?! Sag es endlich!«
»Du hast mich fallen lassen!« Marinel schrie die Worte in sein Gesicht und riss die Augen auf – genauso entsetzt wie er selbst. Seine Hände glitten von ihr ab, und er hatte das Gefühl, seine Muskeln wären zu Stein erstarrt.
»Du hast mich fallen lassen!« Marinel schlug gegen seine Brust, immer wieder, doch Valuar spürte nichts. Sein Körperwar eine Statue, während in seinem Kopf nur noch diese Worte rauschten.
»Du hast mich fallen lassen! Fallen lassen! Fallen lassen!« Ihre Stimme überschlug sich beinahe, während sie so stark gegen seine Brust hämmerte, dass er zurücktaumelte. » Du hast mir das angetan! Es war kein Unfall! Du warst es!« Plötzlich hielt sie inne, starrte schwer atmend in sein Gesicht und wandte sich dann abrupt ab. Immer noch hörte er ihre Atemzüge, als sie so schnell wie möglich davonging.
Mühsam ließ Valuar die Luft aus seinen Lungen entweichen, während er ihr immer noch hinterherstarrte. Sie wusste es. Sie wusste, was er ihr angetan hatte.
Seine Beine setzten sich in Bewegung, machten erst ein paar Schritte, dann rannten sie immer schneller, bis er vor ihr zum Stehen kam. »Seit wann weißt du es?«
Marinel versuchte, an ihm vorbeizugehen, doch Valuar machte einen Schritt zur Seite. »Seit wann?«
Sie sah zu ihm hoch, mit all der tiefen Verachtung, von der er jetzt wusste, weshalb sie in ihren Augen lag. »Immer schon«, erwiderte sie und hielt seinem Blick stand.
Der Boden schien sich vor ihm aufzutun. Er schien zu fallen, immer tiefer, und nirgends war etwas, woran er sich festhalten konnte. Immer schon!
»Wieso …« Es gelang ihm kaum Worte zu formen. »Wieso hast du nie etwas gesagt?«
»Wieso nicht?« Ein boshaftes Lachen schlug ihm entgegen. »Das Wort eines Stallmädchens gegen das von Valuar von Valdoreen, Sohn von Fürst Vlidarin von Valdoreen und Neffe des berühmten Nevliin von Valdoreen! Natürlich – wieso habe ich nichts gesagt.«
»Aber …« Alles drehte sich im Kreis, und er kam erst wieder richtig zu sich, als er bemerkte, wie Marinel schon wiederdavonging. Taumelnd eilte er hinter ihr her. »Ich verstehe nicht …«, murmelte er und dachte daran, wie oft sie sich hätte rächen können – durch Worte oder Taten. Dass sie ihm das Leben gerettet hatte, erschien ihm nun noch absurder.
» Du verstehst nicht?« Sie blieb stehen und stemmte eine Hand in die Seite, während sie mit der anderen wild gestikulierte. »Weißt du, was ich nicht verstehe?« Sie presste die Lippen aufeinander und machte den Eindruck, als wolle sie gleich noch einmal auf ihn losgehen. Stattdessen atmete sie tief
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