Elfenmeer: Roman (German Edition)
von seiner Tat abgebracht werden. Trotzdem konnte er Koralle nicht verletzen, um sein Ziel zu erreichen. Noch nicht.
»Tritt zur Seite, Koralle.« Seine eigene Stimme klang verzerrt. »Du weißt nicht, was sie getan hat!«
»Was auch immer es war, wenn du sie jetzt tötest, ist alles verloren.«
»Das ist es bereits.« Avree starrte durch die Flammen zur Königin, sah die Überheblichkeit und Verachtung, die sie den Piraten entgegenbrachte, und es schien ihm, als würde sich dieser Eindruck durch das Feuer und seine erweiterte Wahrnehmung noch verstärken. Sie sah ihn durch das grelle Licht hindurch an, dabei lag noch nicht einmal Angst in ihrem Blick. Nur kalte Entschlossenheit. Sie war gefühllos und zerstörte Leben, ohne mit der Wimper zu zucken, doch das würde nun ein Ende nehmen.
Avree schloss die Augen. Die aufgeregten Stimmen um ihn herum vermischten sich zu einem Summen, das ihn nicht mehr länger kümmerte. Da war nur noch das Feuer. Es schlang sich um ihn, strich über seinen Körper und erfüllte ihn mit grenzenloser Macht. Die Menschen in dieser Halle waren ihm gleich, Koralle war ihm gleich, sein eigenes Leben war nichts mehr wert, er dachte nur noch daran, die Königin zu töten.
Die Energie trug ihn davon, er verlor den Boden unter den Füßen, löste sich auf in pure Macht und spürte die Hitze, die jeden seiner Herzschläge kräftiger werden ließ. Sie machte ihn stärker.
Sein Körper erstarrte. Ein Beben durchfuhr ihn, und ein Gefühl, so rein und intensiv wie kein anderes, rauschte durchihn hindurch, erfüllte jede Zelle und jeden Gedanken. Dieses Gefühl vertrieb die Hitze und war doch keine Kälte. Es war warm, sicher und nahm alles von ihm ein. Es ging von seiner Brust aus und verbreitete sich, es war ein Teil von ihm.
Avree schnappte nach Luft und riss die Augen auf. Die panischen Schreie um ihn herum schlugen über ihm zusammen.
»Tu doch etwas!« »Sie verbrennt!« »Helft ihr!«
Etwas sank gegen seine Brust, der Geruch von verbranntem Haar und Fleisch stieg ihm in die Nase, und Avrees Arme schlangen sich von selbst um den zarten Körper, der in sich zusammensank.
Blankes Entsetzen durchfuhr ihn, seine Beine konnten ihn nicht länger tragen, und so sank er gemeinsam mit Nayla in die Knie. Er hörte sie nicht, sie weinte nicht, wimmerte noch nicht einmal, sie war ganz still.
»Nayla!« Es war sein eigener Schrei, auch wenn er kein Gefühl mehr für seinen eigenen Körper hatte. Erneut erwachte die Magie in ihm, doch nun war es Heilung und nicht Zerstörung.
Mit einer Wucht, die ihn selbst überrumpelte, verband er seinen Körper mit dem ihrigen, um die Macht der Heilung auf sie zu übertragen. Mit aller Verzweiflung sandte er magische Energie in ihre Adern, und zum ersten Mal in seinem Leben schottete er sich nicht gegen die seelische Verbindung ab. Unerfahrene Heiler wurden für wenige Momente eins mit der anderen Person, doch Avree war, solange er zurückdenken konnte, stets stark genug gewesen, um die Barrieren aufrechtzuerhalten. Nur jetzt konnte und wollte er nichts zwischen Nayla und ihm wissen, er musste ihr alles von sich geben. Seine Seele war die ihrige und ihre war die seinige.
Die Bilder trafen ihn unerwartet, genauso wie der Schmerz. Was er in Naylas Seele fand, war schlimmer als alles, was ersich hätte vorstellen können. Er sah durch ihre Augen, wie sie die Treppe hinunter und durch den Tunnel rannte. Er sah sich selbst, lichterloh brennend und mit flammenden Krallen nach der Königin greifend. Er sah das Licht heller werden, sah, wie sie sich ihm näherte, und dann kam der Schmerz.
Avree merkte kaum, dass er schrie. Er bekam keine Luft, die Angst, das Feuer, die Qual, alles schloss ihn ein, und einen Moment lang war er sicher, den Tod zu finden. Gleichzeitig begleitete ihn aber auch jenes Gefühl, das ihn selbst aus dem Feuer gezogen hatte. Die Liebe, so stark, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes brannte. Sie loderte heller als jedes Feuer.
Der Schleier vor seinen Augen schwand, und die Realität hatte ihn wieder. Er sah Nayla. Da war nur ihr Gesicht, dieses wunderschöne Gesicht, unversehrt und sanft. Ihre Augen waren geöffnet. Sie starrte ihn an, ihr Kopf lag auf seinem Schoß. Als wäre alles nur ein böser Traum gewesen.
»Avree …?«
Abrupt zog er seine Hände von ihr zurück und sprang auf. Alles um ihn herum begann sich zu drehen, doch er taumelte weiter. Koralle rief seinen Namen, Flosse wackelte hinter ihm her, aber all das war nicht
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