Elfenmeer: Roman (German Edition)
hatte keine Macht mehr über ihren Körper. Das Lachen beherrschte sie, und immer wieder stiegen neue Wellen in ihr hoch. Die Worte sprudelten aus ihr heraus, ohne dass sie etwas dagegen unternehmen konnte. Genauso wenig konnte sie die Bilder aus ihrem Gedächtnis verbannen oder die Erinnerung an das Gefühl, ein Leben in den Händen schwinden zu spüren. »So bin ich wohl das Schlimmste, was Elvion je widerfahren ist, meint Ihr nicht auch, Herr der Piraten? Unter meiner Herrschaft gibt es mehr Leid als je zuvor. Vielleicht solltet Ihr es Euch doch noch einmal anders überlegen und mich umbringen. Ich töte sie alle. Ich bin die Königin des Todes.« Sie riss die Augen auf. Das Lachen stoppte abrupt, doch plötzlich bekam sie keine Luft mehr. Ihre Brust wurde ganz eng, und ihre Kehle schnürte sich zu. »Ich …« Sie japste nach Luft, erlangte aber keine Erleichterung. Ihr ganzer Körper begann zu zittern. »Sie sterben alle. Sie …« Wieso konnte sie nicht atmen? Ihre Hand flog zu ihrer Kehle, als könnte sie den unsichtbaren Strick lösen, der sie würgte, aber da war nichts. Da waren nur die Bilder. »All diese Menschen … Ich …« Nein, sie musste sich zusammenreißen, sie durfte sich nicht so gehenlassen! Sie war die Königin, sie durfte vor ihrem Entführer keine Schwäche zeigen – vor niemandem! Wenn ihr Körper ihr nur gehorchen würde! Wieso konnte sie nicht atmen? Wieso konnte sie diesen Schmerz in ihrem Inneren plötzlich nicht mehr ignorieren? Sie tat es doch sonst auch!
»Ich …« Sie presste ihre Hand gegen die Brust. »Ich kann nicht …« Ihre Knie gaben unter ihr nach. Alles wurde schwarz, und nichts war mehr real, da war nur der Schmerz, in dem siezu ertrinken drohte. »Nein«, keuchte sie und klammerte sich an den einzigen Halt, der sich ihr bot. Ihre Finger krallten sich um Stoff, und sie bemerkte nur am Rande, dass es die Weste des Korallenfürsten war. Er hatte sie aufgefangen und war mit ihr zu Boden gegangen, nun kniete er vor ihr und hielt sie fest, seine Hände umklammerten ihre nackten Schultern. Doch er war kaum mehr als ein Schatten, sie konnte nicht richtig sehen, konnte kaum etwas fühlen als Schmerz und Kälte. Es sollte aufhören! Wieso half er ihr nicht? Wieso ließ er sie leiden? Tat er ihr das an? War es ein Zauber?
»Bitte …« Ihre Hände krampften sich um seine Weste an seiner Brust. Nur in eine Decke gehüllt, mit nassem Haar und verletztem Körper, kniete sie auf den Holzplanken und flehte um Gnade. »Ich kann nicht mehr … Bitte …« In jeden Versuch zu atmen mischte sich ein hoher Laut, und Liadan schnappte mit offenem Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. »Bitte …«
Die silberfarbenen Augen starrten sie voller Entsetzen an. Sie waren nicht schadenfroh und selbstzufrieden, sondern verwirrt. Wieso tat er ihr das an?
»Bitte …« Jeder einzelne Atemzug wurde zur Qual. »Aufhören …«
Plötzlich ließ er ihre Schultern los und schlang einen Arm um sie. Er drückte sie fest an seine Brust, und seine andere Hand umfasste mit starkem Griff ihr Kinn. »Ich bin es nicht, der Euch quält«, sagte er schnell und eindringlich, dabei durchbohrte er sie mit seinem Blick, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Das seid Ihr selbst, erkennt Ihr es denn nicht?« Sein Atem strich über ihr Gesicht, und er war ihr so nah, dass sie kaum mehr als seine Augen sehen konnte. Sein Brustkorb hob und senkte sich kräftig, sie spürte es deutlich und wunderte sich, wie intensiv sie seine Umarmung plötzlichwahrnahm. »Es ist Euer Herz.« Er klang erstaunt und gleichsam voller Hoffnung. Seine hellen Brauen zogen sich zusammen. »Euer Herz. Es ist …« Er verstummte und sah sie nur noch an.
Mit einem Mal hörte das Zittern auf. Ihr Körper wurde ganz ruhig, Luft strömte in ihre Lungen, und der Schmerz wich wie eine Welle, die sich zurückzog. Ihr Herz! Ihr Herz, das sich nie zuvor Gehör verschafft hatte – nie in solch einem Ausmaß. Immer wieder hatte es sie gestört und ihr unwillkommene Gefühle beschert, aber ihr Verstand war stets stärker gewesen, bis jetzt. Es hatte ihr bewiesen, dass es da war, und jetzt, da Liadan seine Existenz wirklich bewusst war, schien sie nur noch davon erfüllt zu sein. Sie konnte nicht mehr denken, nur noch fühlen.
Alles schien stillzustehen, sie erwiderte den Blick des Korallenfürsten, spürte seinen muskulösen Arm, der sie umschlang, und mit jedem Atemzug pressten sich ihre Körper näher aneinander. Hitze überzog ihre Haut
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