Elfenmeer: Roman (German Edition)
hören. Am Rande nahm er wahr, wie sie einen Schritt auf ihn zukam.
»Wir wollen jetzt mal so tun, als hättest du gerade nicht gelogen, Ardemir«, sagte sie so kühl, dass er fast schon meinte, eine Fremde zu hören. »Vlidarins Beweggründe interessieren mich auch nicht. Deine hingegen schon, genauso Liadans. Wofür werden die Schattenkristalle gebraucht?«
Dies war die entscheidende Frage. Die schlimmste Frage. Die Frage, deren Antwort Vinae in die eine Richtung treiben würde, während er in der anderen verharrte.
»Ardemir …« Ungeduld, aber auch Verzweiflung klangen aus ihrer Stimme, Verwirrung und Angst. Er wollte dieses Gespräch nicht führen, doch er hatte keine andere Wahl.
»Wir brauchen sie zum Schutz«, antwortete er und schaute immer noch auf den Mineneingang hinab. Er spürte ihren brennenden Blick auf sich und auch, wie der Drache in ihm aufbegehrte. Für gewöhnlich war die Bestie in ihm in der Nähe von Schattenkristallen ruhiger, aber Vinae vermochte es, sie zuerwecken. In ihrer Gegenwart brannte sein Innerstes, und solange der Drache in ihm nicht endgültig verschwand, würde sich das wohl nie ändern.
»Schutz wovor, Ardemir?« Sie stand nun dicht neben ihm und starrte ihn an. »Der letzte Grogon ging vor langer Zeit, es gibt keine Dämonen mehr zu besiegen. Wir brauchen keine Schattenkristalle. Sie schwächen uns nur, unterdrücken die Magie …« Vinae verstummte so unvermittelt, dass Ardemir beinahe hören konnte, wie sie sich selbst die Antwort gab.
»Die Dämonen der alten Göttin sind besiegt«, krächzte er, immer noch nicht in der Lage, sie anzusehen, »aber was ist mit unseren eigenen Dämonen? Die Magie erschafft nur Leid.«
»Wie kannst du so etwas sagen?« Es wäre einfacher für ihn gewesen, wenn sie geschrien hätte, auf ihn losgegangen wäre, doch sie klang lediglich verletzt. »Ardemir, du weißt doch, was ich tue. Von überall her kommen die Elfen, um in den Tempeln Trost zu suchen und Heilung zu erfahren. Sie bringen schwer Verwundete – erst vor zwei Tagen heilte ich einen Valdoreener, der von einem Schneewolf fast getötet worden wäre. Wie kannst du behaupten, dass die Magie nur Leid hervorbringt? Sie hilft uns, sie dient der Heilung.«
»Kaum ein Elf besitzt Heilkräfte, und diejenigen, die es tun, beherrschen ihre Gabe nicht richtig. Sie können gerade mal einen Kratzer heilen.«
»Aber ich beherrsche diese Gabe.« Immer noch konnte er eher Verwunderung und Schmerz, weniger Zorn, aus ihren Worten heraushören. »Du weißt doch, wie es im Sonnental zuging. Die Leute dort sind immer noch vergiftet, ich muss ihnen regelmäßig helfen. Das Gift steckt sehr tief in ihnen, und ohne meine Magie würden sie nie Linderung erfahren. Meine Arbeit als Fürstin und in den Tempeln ist … sie ist alles.«
»Ein Magier, der seine Magie nicht richtig beherrscht, ist eher in Gefahr zu töten, als zu heilen. Magie wird häufiger dazu benutzt, Schaden zuzufügen, als Gutes zu vollbringen.«
Einen Moment lang war es still, dann trat Vinae plötzlich vor ihn. »Ardemir … all diese Kristalle. Hat die Königin vor, die Magie … zu vernichten?«
Ardemir fixierte einen Punkt hinter ihr, er starrte auf die Tropfen, die von den Eiszapfen hinabflossen, doch dann berührten ihre Finger plötzlich ganz sacht sein Kinn.
»Ardemir …«
Er konnte nicht mehr anders, er musste sie einfach ansehen, und es war schlimmer, als er befürchtet hatte. Den Schmerz zu fühlen und ihn jetzt auch noch in ihren so vertrauten Augen zu sehen, die immer so voller Hoffnung gewesen waren, zwang ihn beinahe in die Knie.
Vinaes Lippen zitterten, ihr zartes Kinn zuckte, so fest biss sie die Zähne zusammen. Dann atmete sie tief durch und wiederholte ihre Frage. »Wird Liadan die Magie vernichten, Ardemir?«
Ardemir umschloss ihre Hand mit der seinigen und nahm sie von seinem Gesicht. »Ja.«
Vinae wich vor ihm zurück, als hätte er sie geschlagen. Aus großen Augen starrte sie ihn an. »Das ist unmöglich. Das kann sie nicht … Wie?«
»Das Trinkwasser. Jeder Elf wird Schattenkristalle in sich aufnehmen. Trägt er sie nur auf der Haut, vergeht die Wirkung, sobald er sie wieder abnimmt, aber wenn er sie in sich aufnimmt … Die Magie wird erlöschen.«
Sie keuchte. »Das darf sie nicht tun.«
»Sie ist die Königin. Ohne Magie gibt es keine Magier. Es wird keine magischen Kriege mehr geben.«
»Es wird aber auch keine Heilung mehr geben.«
»Vin, du hast den Wiedervereinigungskrieg nicht miterlebt
Weitere Kostenlose Bücher