Elfennacht 01. Die siebte Tochter
Euren Diensten, Mylord«, sagte er.
»Evan?«, rief Anita. »Was soll das alles? Und wieso redest du so komisch?«
»Mylady.« Gabriel berührte sie am Arm. »Der Mann, den Ihr als Evan kennt, ist mein treuer Diener, Edric Chanticleer. Ich schickte ihn in die Welt der Sterblichen, um Euch zu finden und an Euren rechtmäßigen Platz zurückzubringen.«
Anita lachte angespannt. »Nein, das muss ein Missverständnis sein«, sagte sie. »Er ist mein Freund.«
Gabriel starrte sie mit seinen silbrigen Augen an und ihr lief ein Schauder über den Rücken. Was ging hier vor? Ihr Traum geriet außer Kontroll e – so war das nicht gedacht.
Sie fasste sich mit einer Hand an den Kopf und versuchte klar zu denken. »Also, hör mal gut zu«, sagte sie. »Ich bin keine Prinzessin. Das hier ist nicht real. Dieser Junge da unten ist mein Freund und heißt Evan Thomas.« Sie sah Gabriel eindringlich an. »Und jetzt würde ich wirklich gern aufwachen, bitte, bevor das Ganze noch schräger wird.«
Gabriel lächelte sie an. In seinen grauen Augen lag Mitgefühl. »Mylady, zu lange habt Ihr in der albtraumhaften Welt der Sterblichen geleb t – es ist an der Zeit, dass Ihr erwacht und Euch entsinnt, wer Ihr wirklich seid.«
Anita schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie mit Nachdruck. »Evan und ich hatten einen Unfall und ich glaube, dabei muss mein Kopf was abgekriegt haben. Es könnte aber auch an den Schmerzmitteln liegen, die man mir gegeben ha t – deshalb habe ich möglicherweise diese verrückten Träume.« Sie sah Gabriel direkt in die Augen. »Aber wie man’s auch dreht und wendet: Das hier passiert nicht wirklich. Evan ist mein Freund und kurz bevor wir mit dem Boot gegen die Brücke geknallt sind, wollte er mir sagen, dass er mich liebt.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Dem ist nicht so«, sagte er sanft. »Er wollte Euch mitteilen, wer Ihr in Wahrheit seid: Prinzessin Tania, die siebte Tochter von König Oberon und Königin Titani a – und dass er ausgesandt wurde, Euch nach Hause zu bringen.«
Anita beugte sich über das Geländer. »Sag ihm die Wahrheit, Evan!«, bat sie.
Der Mann in Grün hob den Kopf und sah sie an. Mit Evans Augen . »Die Wahrheit verhält sich so, wie Lord Drake soeben sagte«, meinte er. »Ich bin lediglich Diener Seiner Lordschaft, ausgesandt, Euch heimzubringen.«
»Nein!«, rief Anita. »Du liebst mich und ich liebe dich. Bitte, Evan, tu mir das nicht an!«
Sie hatte das Gefühl, der Traum wurde allmählich zum Albtraum. Was trieb ihr Gehirn nur für ein Spiel?
Evan wandte sich an Gabriel. »Gestattet Ihr, dass ich mich empfehle, Mylord?«
»Ja, du kannst gehen«, sagte Gabriel. »Du hast deine Sache gut gemacht.«
Evan stand auf, verneigte sich und ging durch den Saal zu einer breiten, offen stehenden Flügeltür. Anita sah ihm nach, zu unglücklich und verwirrt, um etwas zu sagen. An der Tür drehte sich Evan noch einmal um und verbeugte sich ein letztes Mal, bevor er zurücktrat und die Türen hinter sich schloss.
Der Nachhall vom Zuschlagen der Türen traf Anita wie eine Faust in den Magen. Sie war gekränkt und verletzt und diese Gefühle übermannten sie fast. Passierte das wirklich? Bedeutete das etwa, dass Evan sie nie geliebt hatt e – hatte er es bloß vorgetäuscht?
Irgendwo in einer dunklen Ecke ihres Hinterkopfs schrie eine leise Stimme, dass nichts von alldem wahr war. Doch es kam ihr nur allzu wirklich vo r – und die Gefühle, die in ihr tobten, waren so intensiv wie nur wenig sonst in ihrem Leben.
»Warum bin ich hier?«, flüsterte sie. »Warum passiert mir das?« Sie schloss die Augen und stützte sich auf die Holzbalustrade.
Die samtene Stimme Gabriel Drakes riss sie aus ihren Gedanken. »Mit Verlaub, Mylady, ich würde Euch nun gern zu Eurem Vater geleiten.«
Anita öffnete die Augen und starrte ihn überrascht an. »Zu meinem Vater? Er ist hier?«
»Er hat lange auf Eure Rückkehr gewartet, Mylady.«
»Na ja, sooo lange nun auch wieder nicht«, sagte sie. »Das letzte Mal hab ich ihn gestern Nacht gesehen.«
»Fünfhundert Jahre lang habt Ihr das Antlitz Eures Vaters nicht mehr erblickt, des Hochwürdigsten Königs Oberon«, sagte Gabriel.
»Ach so, der «, sagte Anita. »Ich dachte, du meins t – na, auch egal.« Sie richtete sich auf. »Okay, Gabriel, da ich ja nun mal bis auf Weiteres in diesem Traum festzustecken scheine, kann ich genauso gut mitspielen. Bring mich also zum König.«
Gabriel nahm eine Kerze aus einer Wandhalterung und
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