Elfennacht 01. Die siebte Tochter
Bett, Faulpelz! Du solltest dich schämen!«
Anita wandte sich um und bemerkte, dass sie noch immer im Bett ihres Schlafgemach im Elfenreich lag. Sonnenlicht und der Duft von Blumen fluteten durch die weit aufgerissenen Fenster.
Rathina saß seitlich auf ihrem Bett und beugte sich lächelnd über sie.
»Liebste Schwester«, sagte Rathina. »Ich war dir keine gute Freundin, seit du zurückgekehrt bist, und das tut mir sehr leid. Ich dachte, du würdest mir vielleicht vorwerfen, was mit dir passiert ist. Aber zwischen uns kann es keine Kälte geben, Tania. Wir standen uns immer so nahe. Kann es wieder so werden wie früher? Wirst du mir verzeihen?«
Anita setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Dir was verzeihen?«, fragte sie.
Rathina ließ den Kopf hängen. »Wenn ich dich nicht dazu ermuntert hätte, die Kräfte auszuprobieren, von denen in dem alten Vers die Rede war, wärst du uns nie verloren gegangen.«
Noch immer verschlafen blinzelte Anita sie an. »Kannst du das bitte noch mal wiederholen?«, sagte sie. »Ich meine, ich verstehe nicht ganz, wovon du sprichst.«
Rathina nahm Anitas Hand. »Am Abend vor deiner Vermählung waren wir zusammen in diesem Gemach«, sagte sie. »Wir sprachen über das Gedicht, mit dem wir aufgewachsen sind, das Gedicht, das wir aus Kindertagen kennen: Nur eine kann in beide Welten, jüngste Tochter derer sieben. «
Anita nickte. Das war das Gedicht aus dem Buch.
»Der Gelehrte des überlieferten Wissens sagte, wenn du die siebte Tochter wärst, von der in der Strophe die Rede ist, dann würden deine Kräfte an deinem sechzehnten Geburtstag erwachen.« Rathina schaute Anita in die Augen. »Und von dem Augenblick an hättest du die Gabe, zwischen dem Elfenreich und der Welt der Sterblichen hin- und herzuwandeln.« Sie drückte Anitas Hand fester. »Du solltest an deinem sechzehnten Geburtstag mit Gabriel Drake vermählt werden. Wir warteten, bis es Mitternacht schlug und dann drängte ich dich, aus unserer Welt hinaus- und i n … in den anderen Ort hinüberzutreten.« Sie schüttelte den Kopf. »Es war nur ein Spiel, Tania. Ich wollte keinen Schaden anrichten. Mir wurde ganz angst und bange, als d u … als d u …« Bei diesen Worten versagte ihr die Stimme.
Anita überkam Mitgefühl. Fünfhundert Jahre waren eine verdammt lange Zeit, wenn man befürchtet, dass man das Verschwinden der eigenen Schwester verschuldet hatte!
»Du konntest doch nichts dafür«, sagte sie. »Ich erinnere mich an nichts von alldem, ja, genau genommen an gar nichts aus diesem ganzen Reich, außer an ein paar seltsame Dinge, die keinen Sinn für mich ergeben. Aber ich bin sicher, du wolltest nicht, dass ich verschwinde. Ich war diejenige, die zwischen den Welten hin- und herging. Ich konnte ja nicht wissen, was passieren würde.« Sie lächelte. »Natürlich können wir Freundinnen sein. Das fände ich sehr schön.«
Rathina atmete erleichtert auf und sprang vom Bett hinunter. »Die besten Freundinnen!«
Anita nickte.
»Klingt gut!«
»Dann steh auf, du Schlafmütze!«, sagte Rathina und zog Anita die Decke weg. »Es gibt heute viel für dich zu entdecken. Du kannst dich wirklich an nichts erinnern? Dann werde ich dich überall herumführen! Wir werden uns den Palast ansehen und am Abend wird dir alles wieder vollkommen vertraut sein!«
Anita krabbelte aus dem Bett. »Okay«, sagte sie. »Abgemacht. Aber wie sieht es aus mit Frühstück? Ich verhungere gleich!«
»Fürwahr, erst Frühstück«, sagte Rathina, ging ans Fenster und breitete die Arme aus. »Und dann: Hinaus in die Welt!«
Rathina nahm sie als Erstes mit in ein kleines Esszimmer, wo Diener ihnen frisch gebackenes Brot mit Butter und Käse und frisches Obst servierten. Anita trank ein Glas Milch und aß mit Genuss.
Sie hatte gehofft, dort auch Zara oder eine der anderen Schwestern vorzufinden, aber anscheinend lag Zara noch im Bett und die anderen hatten bereits vor Stunden gefrühstückt und gingen inzwischen anderen Aufgaben nach. Die Bediensteten erzählten ihnen, dass der König und mehrere wichtige Lords und Ladys des Hofes »hinter verschlossenen Türen in Klausur« säße n – was immer das heißen sollt e – und es sei nicht zu erwarten, dass sie vor der Mittagszeit wieder auftauchten.
Anita nahm an, dass es sich um eine Art hochrangiges Treffen handelte. Vielleicht war das der Rat, den Oberon erwähnt hatte. Ob sie wohl mithilfe von Magi e – den Mystischen Künsten– über das Königreich
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