Elfenschiffe (Mithgar 03)
daran.«
»Denkt nach, Kind«, antwortete Alamar. »Vielleicht liegt gerade dem Gott, der nicht antwortet, am meisten daran.«
»Wie kann das sein? Ich meine, Ihr habt mir noch immer nicht erklärt, warum es schrecklich wäre, wenn die Götter jenen antworteten, die sie um Hilfe bitten.«
»Kind, ich habe nicht gesagt, es wäre schrecklich. Ich sagte lediglich, es könnte schreckliche Folgen haben.
Hört mich an: Wenn Euer Gott jedes Mal, wenn Ihr in Not seid oder Zweifel habt, Eure Probleme für Euch lösen würde, was würde dann aus Eurem Mut und Eurer Tatkraft werden, frage ich Euch? Warum sich bemühen, wenn es unnötig ist? Aber würde das nicht dazu führen, dass Euer Gott jeden Aspekt Eures Lebens beherrscht? Und wenn das geschehen würde, was böte das Leben dann noch an Herausforderungen?
Und ich will Euch auch noch Folgendes fragen: Wenn Euer Gott nicht gütig wäre, sondern vielmehr egoistisch und eifersüchtig, würdet Ihr dann wollen, dass er jeden Aspekt Eures Lebens beherrscht? Und wärt Ihr bereit, Euren freien Willen aufzugeben, selbst wenn Euer Gott gütig und liebevoll ist? Würdet Ihr auf Eure Eigenständigkeit verzichten wollen, um in der Behaglichkeit eines goldenen Käfigs zu leben? Was wäre dann noch von Euch übrig? Was wäre aus Euch geworden?«
Jinnarin schüttelte den Kopf. »Und all das würde daraus entstehen, dass man zu einem Gott spricht und eine Antwort erhält?«
»Vielleicht, Jinnarin. Vielleicht. Denn wer weiß, wohin selbst unschuldige Wünsche führen können?«
»Ich finde es schwer zu glauben, dass sie zu einem solchen Verhängnis führen könnten, Alamar.«
»Dann will ich Euch eines fragen, Jinnarin: Was ist das Wesen des Bösen?«
Jinnarin fiel die Kinnlade herunter. »Du meine Güte, Alamar, das weiß doch jeder.«
»Ach? Verhält es sich so? Nun denn, Pysk, erzählt es mir.«
»Das Böse ist schlecht«, erwiderte Jinnarin.
»Seid nicht albern«, entgegnete Alamar verdrossen. »Zu sagen, das Böse ist schlecht, ist dasselbe, wie zu sagen, das Böse ist böse. Oder das Gute ist gut. Oder Großes ist groß. Etwas aus sich selbst zu erklären, ist töricht.«
Jinnarin fuhr bei Alamars Antwort erneut auf, erkannte aber gleichzeitig die Wahrheit seiner Worte. Sie ritt eine Weile stumm neben ihm her und meinte schließlich: »Das ist keine leichte Frage, nicht wahr?« Sie neigte nachdenklich den Kopf zur Seite. »Ich glaube zwar, dass ich etwas Böses erkenne, wenn ich es sehe, aber zu sagen, was es ausmacht…«
Wiederum verstummte die Pysk und überlegte. Rux hielt derweil mühelos Schritt mit dem Magier, da der Alte nur langsam ging. Wieder war es Jinnarin, die das Wort ergriff. »Wie kann es sein, dass etwas, das ich immer für ganz simpel gehalten habe, sich bei genauerem Nachdenken als so kompliziert erweist? Jede Schlechtigkeit kann gleichzeitig auch eine Tugend sein: Farrix hat einen Eber getötet, um Euch das Leben zu retten, aber es wäre falsch gewesen, den Eber nur zum Vergnügen zu töten… Es gibt keine einfache Antwort, Alamar, oder?«
Der Alte brummte bestätigend und fügte dann hinzu: »Über das Wesen des Bösen denkt man seit Millennien nach, und Ihr habt Recht, Jinnarin, es gibt keine einfache Antwort… aber es gibt eine Antwort, obwohl auch sie Einschränkungen unterliegt.«
»Verratet sie mir noch nicht, Alamar. Lasst mich noch etwas darüber nachdenken.«
Alamar warf einen überraschten Blick auf die Pysk, und ein anerkennendes Funkeln stahl sich in seine Augen.
Sie strebten weiter den Lichtern Kairns entgegen, die langsam näher rückten. Schließlich erreichten sie die ersten Gebäude, und Jinnarin und Rux glitten in den Schatten, wo sich die Dunkelheit um die Pysk und den Fuchs zu konzentrieren und sie einzuhüllen schien, und sogar der Magier hatte Probleme, sie im Dunkeln auszumachen.
Die Straße, der sie folgten, verlief weiter nach Westen, parallel zum Fluss und dessen steinigen Ufern. Sie passierten Häuserreihen und überquerten ab und zu Seitenstraßen, von denen manche gepflastert waren und andere kaum mehr als Trampelpfade. Ständig begegneten sie anderen Leuten, die von hier nach da eilten oder auch nur müßig dahinschlenderten oder irgendwo saßen. Doch obwohl viele von diesen Alamar ansahen oder ihm aus dem Weg gingen, schien niemand Jinnarin und den Fuchs zu bemerken, die sich stets im Schatten bewegten – es war, als seien die beiden für gewöhnliche Augen unsichtbar, obwohl Alamar hin und wieder einen Blick auf
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