Elfenschwestern
mit dem Bluebell Cottage? Granny hat es schließlich irgendwie sicher gemacht!
Lily war überzeugt, dass zumindest ihre Granny ein Mittel gekannt hatte, das die Fey draußen hielt und die Menschen, die sie liebte, beschützte. Mit der Puderdose in der einen Hand und ihrer Wimperntusche in der anderen hielt sie einen Moment inne. Aus dem Spiegel blickte ihr die Tigerlilie entgegen. Die Katzenaugen und die spitzen Ohren waren das Erbe ihres Vaters, aber in ihren Gesichtszügen lebten auch die Fairchilds weiter. Ihre Mutter. Und auch ihre Großmutter. Für einen Moment sah Lily nicht sich, sondern sie.
Ach Mum, ach Granny, dachte Lily traurig, ich wünschte, ihr wäret hier.
Kurzentschlossen ließ sie die Ketten mit der Lilie und dem Tiger in eine Seitentasche ihres Schminkbeutels gleiten, bevor sie ihn sich unter den Arm schob. Irgendwie fühlte sie sich so weniger verlassen.
Die Suite der Swanscots war prächtig. Außerdem war sie prächtig Lancaster-Schwestern-frei, erklärte Rose, als sie Emma vor den antiken Toilettentisch bugsierte, um ihr die Kräusellocken hochzustecken. Umso wütender fuhr Rose auf, als Robert plötzlich den sandblonden Kopf ins Zimmer seiner Schwester steckte und erklärte, dass draußen eine Dame stünde, die Lily und Rose zu sehen wünschte.
„Grace oder Gwyneth, wer, meinst du, ist es?“, knurrte Rose, während die Tür aufschwang.
Mum.
Lily flog ihrer Mutter in die Arme. Sie drückte Kate heftig an sich. Und Kate drückte genauso heftig zurück.
„Was machst du denn hier?“, stammelte Lily und versuchte, Tränen wegzublinzeln, die ihr partout über die Wangen fließen wollten. Nur undeutlich bekam sie mit, dass Emma diskret aus dem Raum schlüpfte.
„Hast du wirklich gedacht, ich lasse euch an Weihnachten alleine?“, fragte Kate erstickt.
„Ehrlich gesagt“, sagte Lily in das blonde Haar an ihrer Wange, „war ich zu sehr damit beschäftigt, meinen verlorenen Bruder zu suchen und mich mit menschenverachtenden Fey herumzuschlagen, um überhaupt an Weihnachten zu denken.“
Ein Lachen tönte von der Tür her.
„Ist es überhaupt möglich bei diesem Christbaum, der in der Halle steht, nicht an Weihnachten zu denken? Ich glaube fast, Evelyn versucht die Queen auszustechen.“
Sobald Lily diese Stimme hörte, ließ sie ihre Mutter los. Hinter Kate stand ein Mann, groß und schlank. Er hatte goldenes Haar, das sich vielleicht gelockt hätte, hätte er es nicht so kurz geschnitten getragen, und Augen so blau wie Amethyste, die aber in einem anderen Licht so blauviolett wie Veilchen leuchten mochten.
„Hallo, kleine Tigerlilie“, sagte Gray Lancaster. „Hallo, meine wilde Rose.“
Lily sagte nichts. Stumm starrte sie ihren Vater an und dachte: Ich wusste nicht mehr, dass er so aussieht.
Sie fühlte, wie sich fremde Finger in ihre schoben. Rose klammerte sich an sie. Lily drückte ihre Hand und überlegte vage: Eigentlich fühle ich mich gar nicht standfest genug, um Halt zu geben.
„Wollt ihr denn nichts sagen?“, fragte Kate. Sie schaute hoffnungsvoll von einer Tochter zur anderen.
„Was denn?“ Rose klang nicht wie sie selbst. Kalt, ja, aber dieses Mal wirkte sie dadurch nicht unnahbar und ungerührt, sondern im Gegenteil tief aufgewühlt.
„Hallo“, sagte Lily leise. Dann schwieg auch sie wieder.
„Mädchen, bitte“, begann Kate.
„Verteidigst du ihn etwa?“, fauchte Rose. „Warum hast du ihn überhaupt hergebracht? Wir brauchen ihn nicht!“
Doch, dachte Lily, wenn er Grayson retten kann.
„Kannst du“, fragte sie den fremden Mann, der ihr Vater war, „Grayson zurückholen?“
Gray Lancaster, Baron von Greenwood, verlor nicht seine aufrechte Haltung, als er sagte: „Nein.“
Rose wollte höhnisch lachen. Doch ihr spöttisches Gelächter geriet verdächtig zittrig.
Lily atmete langsam aus. Einen Moment lang hatte sie gehofft, dass vielleicht, vielleicht ihre Eltern alles zum Guten wenden würden. Einen Moment lang hatte sie sich an diesen Kinderglauben geklammert, dass Erwachsene immer einen Ausweg finden. Nun, falsch gedacht, Lily. „Warum kannst du nicht zum Duke gehen und sagen: ‚Gib mir meinen Sohn zurück?‘“, verlangte sie von ihrem Vater zu wissen. Wenigstens Rechenschaft sollte er ablegen.
„Evelyn hat eine Art Vormundschaftspapier für Grayson“, erklärte Gray Lancaster. „Vor zwei Tagen von Graysons Mutter unterzeichnet, meiner“, er zögerte, „Frau.“
„Was?“ Roses Augen blitzten gefährlich. „Aber du bist der
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