Elfenschwestern
dort jede Menge Platz, und kletterte die Hauswand empor.
Nein, dachte Lily da erschrocken. Nicht wie eine Katze. Wie ein Fassadenkletterer! Und bei dem Gedanken wurde ihr kalt.
„Lily!“ Jolyon war bei ihr, packte sie bei den Schultern und sah ihr prüfend ins Gesicht. „Bist du in Ordnung?“
„Diese Schulter“, Lily deutete, „tut weh.“
Er ließ sie sofort los. „Es tut mir leid“, stieß er hervor. „Alles. Lily, ich …“
Er wurde von Kate unterbrochen, die Lily in ihre Arme riss und an sich drückte.
„Mum“, stöhnte Lily. „Au.“
„Kate, lass sie leben“, sagte Eileen trocken.
„Lass sie leben?“ Kate löste ihren Klammergriff abrupt, hielt Lily aber weiter umschlungen. „Sie wäre fast gestorben!“
„Mum, es geht mir gut.“ In dem Versuch, ihre Mutter zu beruhigen, streichelte Lily ihr sanft über eine Wange. Und hinterließ dort einen blutigen Streifen.
„Engel, deine Hände!“
Entsetzt starrte Lily sie an. Ihre Fingerspitzen waren aufgerissen und die Wunden auf ihren Handflächen wieder aufgesprungen.
„Das ist keine gute Woche für dich, Tigermädchen“, sagte Jolyon. Er lächelte sie mitfühlend an, aber Lily sah noch mehr in seinen Augen. Etwas flackerte darin, erlosch nur langsam. Es erinnerte sie an den fremden Geruch, der an ihm gehaftet hatte. Es erinnerte sie an den Schrei, der über den Hof gehallt war, als Lily vom Dach stürzte.
Ich war es nicht, dachte sie. Nein, ich war es nicht. Konnte es sein, dass Jolyon geschrien hatte? Dass er Angst gehabt hatte? Um sie? Ihr wurde ganz schwindelig bei dieser Vorstellung.
„Miss Fairchild.“ Das war T. W. Webber, der sie in die Gegenwart zurückholte. „Lily, was ist denn überhaupt passiert dort oben? Ich sah ein Licht, das auf dich zuraste und dann“, er schluckte, „bist du abgestürzt.“
Lily öffnete den Mund, um ihm alles zu erklären, als ihr Blick auf Davis fiel. Er hatte einen Gesichtsausdruck, der mit nichts anderem als gierig zu beschreiben war. „Wissen Sie was?“, sagte Lily zu T. W. Webber. „Wir machen es so. Sie erzählen mir, was hier los ist. Wer Sie sind und wo zum Teufel mein Bruder ist. Und ich erzähle Ihnen, was ich weiß. Was meinen Sie dazu?“
Webber sah sie stumm an. Davis aber explodierte.
Klar, dachte Lily, was sonst? Der Kerl hat sich ja überhaupt nicht im Griff.
„Eine Unverschämtheit“, schäumte Davis und griff sich theatralisch mit einer Hand in die gegelten Locken. „Katherine, ich muss darauf bestehen, dass du deine Tochter zurechtweist und zur Ordnung rufst.“
Kate schien ihn gar nicht zu hören.
„Katherine“, fing Davis wieder an.
„Michael“, sagte T. W. Webber. „Halt die Klappe.“
Alle außer Kate starrten ihn an.
Davis schloss und öffnete den Mund ein paarmal wie ein Karpfen.
„Tja“, sagte Lily achselzuckend. „Dann eben nicht. Mum, suchen wir Rose und gehen nach Hause?“
Kate nickte mit tränenumflorten Blick.
„Ich hole Rose. Du bist bestimmt nicht alleine hergekommen, oder Lily? Nein, dachte ich auch nicht. Geht ruhig schon vor.“ Eileen strich Lily zärtlich übers Haar. „Gut, dass du heil bist, Schatz“, flüsterte sie.
„Heil?“ Kates Stimme brach und die Tränen begannen zu fließen. „Sie ist nicht heil. Sieh sie dir doch an! Zum zweiten Mal in zwei Tagen ist sie knapp mit dem Leben davongekommen. Wir fahren jetzt ins Krankenhaus, mein Engel“, sagte sie zu Lily.
Lily nickte. Einer weinenden Kate hätte sie jeden Wunsch erfüllt.
„Ehem“, machte T. W. Webber.
„Was?“, fauchte Kate und klang, Lily hätte es geschworen, genau wie Rose.
„Krankenhaus? Kate, das ist keine so gute Idee.“
Kate schnaubte. Wie sie so aufgelöst und tränenverschmiert immer noch schön sein konnte, war Lily ein Rätsel. Aber sie war es.
„Als Rose sich mit neun das Bein brach, waren wir auch im Krankenhaus“, sagte Kate verächtlich. „Kein Problem. Sie sind keine Aliens, wisst ihr? Sie sind nur kleine Mädchen. Meine Mädchen.“
Davis schaute sie verletzt an. „Das hast du nie erzählt.“
„Nein“, schnappte Kate. „Habe ich nicht. Wundert dich das etwa?“
Davis sah so aus, als wolle er noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders.
Und Kate drehte sich einfach um und marschierte mit Lily im Arm davon.
Einen Moment später hatten Jolyon und Webber sie eingeholt. Jolyon lief rechts von Lily, Webber links von Kate. „Wir begleiten euch“, sagte der Gelehrte zu Lilys Mutter, während Jolyon und er
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