Elfenschwestern
Lily war es aber auch. „Moment mal“, sagte sie. „Was soll das denn heißen? Rose, wenn ich ihn küssen will, dann küsse ich ihn, klar?“
Doch Rose schenkte nur Jolyon Aufmerksamkeit. „Okay“, wiederholte sie. „Ach, und ich putze keinen Salat, Collegeboy. Ich esse ja auch keinen! Aber ruft mich, wenn die Nudeln fertig sind.“ Sie verschwand wieder.
Lily sah ihr aufgebracht hinterher.
„Hey.“ Jolyon zupfte sie an einer Locke.
„Was?“ Lily wirbelte zu ihm herum.
Als wäre das Aufforderung genug, nahm er sie wieder in die Arme. „Entschuldige“, sagte er. „Ich wollte nicht der Grund dafür sein, dass ihr euch zankt.“
„Zanken? Das war noch kein Zanken.“
Er schaute sie skeptisch an.
„Jedenfalls“, sagte er, „habe ich schon kapiert, dass ihr Fairchild-Sprösslinge euch sehr nahesteht. Deine Schwester würde mich in Stücke reißen, wenn sie das für nötig hielte. Und du wolltest das auch, als du dachtest, ich sei eine Gefahr für Grayson. Ich schwöre, Tigermädchen, ich will mich nicht zwischen dich und deine Schwester drängen.“
Da lachte Lily. „Keine Sorge, Jol“, sagte sie. „Das schafft wirklich niemand.“
16
The lunatic, the lover and the poet.
Are of imagination all compact. ~ Verrückte, Dichter, Liebende bestehn schlichtweg
aus Einbildung.
Sie saßen zu dritt am Küchentisch. Die Welt draußen, jenseits des Cottages, war still, kalt und dunkel, die Welt hier drinnen still, warm und hell. Lily pickte noch in ihrem Feldsalat herum, Jolyon vertilgte die letzten Pastareste. Rose aber hatte ihren Teller schon beiseitegeschoben und starrte im Schein der alten Stalllampe auf das, was zwischen ihnen lag: auf den Briefumschlag mit der aufgestempelten roten Rose und einen flachen Schnellhefter.
„Womit fangen wir an?“, fragte Lily.
„Zuerst der Brief“, verlangte Rose. „Okay?“
Lily nickte vorsichtig. Sie schob den Umschlag ihrer Schwester zu. Als Rose ihn aufriss, fielen eine gefaltete Karte und ein Briefbogen heraus. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie die Karte. „Ein Debütantinnenball?“ Ihre Augen flogen zu Lily.
Die hob die Schultern.
Rose klappte die Karte auf. „Geladen wird nach Englefield Park zum Weihnachtsabend. Gastgeber ist der Duke von Ashford. Ein Duke?“
„Schau dir das Wappen an“, flüsterte Lily. „Das ist doch ein Wappen da ganz unten, oder? Ist das etwa …“
„… die weiße Rose. Verdammt soll sie sein.“ Rose warf die Karte von sich und ließ sich in ihrem Stuhl nach hinten fallen. Der dicke Strickpulli, den sie im Haus am liebsten trug, rutschte ihr dabei von einer schneeweißen, zarten Schulter und ließ Rose plötzlich sehr verletzlich aussehen.
„Der Duke“, sagte Jolyon, „ist so etwas wie der oberste Häuptling der Familie York.“
„Wieso“, verlangte Rose zu wissen, „kommt eine Einladung der Yorks in einem Umschlag, der das Wappen der Lancasters trägt?“
„Ich habe keine Ahnung. Lass uns nachsehen.“ Lily griff nach dem Brief, den Rose hatte liegen lassen. „Liebe Wild Rose und liebe Tigerlily“ , las sie laut vor. „Liebe Nichten.“
Lily tauschte mit ihrer Schwester einen raschen Blick. Rose zog die Füße auf ihren Stuhl, schlang die Arme um die Beine und legte eine Wange auf ihre Knie. Lily beugte sich weiter über den Tisch, wollte näher heran an Rose und näher heran an Jolyon. Sie spürte die Wärme der Stalllaterne auf ihrem Scheitel und die Hitze von Jolyons Körper neben sich und entspannte sich etwas.
„Liebe Nichten“ , wiederholte Lily. „ Wir haben lange überlegt, wie wir diesen Brief am besten anfangen. Wie schreibt man Verwandten, die man noch nie gesehen, schlimmer noch, von deren Existenz man bis vor Kurzem nichts gewusst hat?“
Rose keuchte, aber Lily las weiter: „Wir müssten so viel besprechen, ihr Lieben, doch wir machen es jetzt kurz: Wir wissen nicht nur endlich von euch, wir wissen auch von Grayson, seinem Verschwinden und der Rosen-Nachricht der Yorks. Eure Mutter war bei uns. Mum!“, rief Lily überrascht.
Rose richtete sich ruckartig auf.
„Wir können euch helfen! Wir begleiten euch nach Englefield Park, dem Stammsitz der Yorks. Auch wenn die Familien der Rosen sich nicht besonders gewogen sind, bewegen wir uns doch in denselben Kreisen. Als Töchter von Lord Gray und als junge Damen von sechzehn und siebzehn habt ihr also jedes Recht, wie alle Mädchen von Stande auf dem Debütantinnenball in die Gesellschaft eingeführt zu werden.“
„Lord
Weitere Kostenlose Bücher