Elfenschwestern
Mrs Lancaster, du böser Junge“, schalt sie und versetzte ihm mit dem Handrücken einen spielerischen Klaps vor die Brust.
Lily wurde seltsam zumute.
Alistair aber nahm Graces Hand in seine sehnigen Finger und berührte sie mit seinen Lippen.
Grace lachte perlend. „Ganz der Vater“, sagte sie.
Lily registrierte mit Unbehagen, dass Graces Stimme sie an das Schnurren einer Katze erinnerte. Nein, entschied sie, das hier war nicht der normal-höfliche Umgang zwischen zwei adeligen Fey, das hier war nicht einmal normal-freundschaftlicher oder normal-vertrauter Umgang. Ihre Tante flirtete mit dem jungen Earl.
Himmel, sie ist Mitte vierzig!, dachte Lily aufgebracht. Auch wenn sie auf den Vater steht, soll sie doch bitte seinen Sohn in Frieden lassen.
„Lily“, sagte Grace jetzt. Sie schenkte ihrer Nichte ein so warmes, liebevolles Lächeln, dass Lily sich kurz für ihre Gedanken schämte. „Gwyneth und Rose sind schon mit den anderen Gästen für den Aperitif im Kaminsaal. Könntest du dich bitte ganz schnell umziehen und nachkommen? Rose trägt das Türkisblaue. Nur damit du Bescheid weißt. Ich denke in deinem Fliederfarbenen würdest du reizend neben deiner Schwester aussehen.“
„Lily sieht sicherlich immer reizend aus“, warf Alistair ein.
Grace hob die akkurat gezupften Brauen. „Oh. Was für ein Gentleman! Aber er hat natürlich Recht. Also beeil dich, Liebes.“ Sie tätschelte Lilys Arm und wandte sich tatsächlich zum Gehen.
„Warte. Rose wollte mit mir zusammen hinuntergehen …“, begann Lily.
„Oh, Liebes“, sagte Grace bedauernd. „Ihr seid einfach zu spät dran. Es wäre nicht angebracht, Rose jetzt herauszurufen. Sie amüsiert sich auch so gut. Ich denke, sie hat schon neue Freunde gefunden.“ Ihre Tante warf Lily einen bedeutungsschweren Blick zu.
Das ist mir egal!, wollte Lily ausrufen. Soll sie später weiterspionieren, ich will jetzt mit meiner Schwester sprechen!
Aber sie beherrschte sich und nickte nur mit möglichst unbewegtem Gesicht, drehte sich um und steuerte die Treppe an.
Alistair blieb neben ihr.
„Wir bringen dich zu deinem Zimmer“, sagte er. „Man kann sich hier so leicht verlaufen.“
Lily hätte den Weg zwar problemlos gefunden, beschwerte sich aber nicht.
Als sie schließlich ihre Suite erreichten, wies Alistair mit dem Daumen den Flur entlang. „Ich muss in diese Richtung. Wir wohnen im Südflügel. Drück die Daumen, dass unterwegs niemand Basker sieht. Die Hunde sollen nämlich eigentlich draußen bleiben. Order von ganz oben.“
Lily musste lächeln. „Okay.“ Sie kraulte den schwarzen Hund noch einmal zwischen den Ohren, bevor sie ihre Hand auf die geschwungene, vergoldete Türklinke legte.
„Tigerlily?“ Alistair hatte sich nicht von der Stelle gerührt. „Ich hole dich ab. In zwanzig Minuten? Dann gehen wir zusammen runter. Das ist dann“, er schenkte ihr sein diabolischstes Lächeln, „fast ein Date.“
Lily atmete vor Erleichterung hörbar aus. Sie ließ sich nicht täuschen. Er wollte nett zu ihr sein. „Danke, Alistair“, sagte sie ehrlich. „Ich würde sterben, müsste ich da allein hinunter.“
Er betrachtete sie. „Nein. Würdest du nicht“, erklärte er. „Komm, Basker. Lassen wir die Lady sich noch schöner machen.“
Lily sah dem Earl und seinem schwanzwedelnden Labradormischling hinterher. Baskers Krallen machten auf dem gebohnerten Parkett klickende Geräusche, Alistair zog den verkratzten Reitstiefel mit dem verletzten Bein nach. Beide wirkten sie in diesem Moment anrührend deplatziert. „Wartet!“, rief Lily.
Hund und Herrchen drehten sich um.
Lily schluckte. „Alistair“, begann sie langsam, „es kann ja sein, dass du es gewohnt bist, Mädchen bei deinem bloßen Anblick in Ohnmacht sinken zu sehen. Oder so. Aber nur weil ich das nicht tue, heißt das nicht, dass ich dich nicht leiden kann.“ Sie holte tief Luft. „Ich kann dich durchaus leiden, Alistair York. Ein wenig.“
Und obwohl sie sich beeilte, nach dieser Ansprache in ihr Zimmer zu schlüpfen und die Tür hinter sich zuzuziehen, sah sie noch, wie Alistair zu lächeln begann.
Noch Jahre später würde sich Lily daran erinnern, wie es war, den Kaminsaal von Englefield Park am Arm des jungen Earl of Rosebery zu betreten.
Alistair sah umwerfend aus. Als Lily ihr Zimmer verließ, lehnte er mit in den Nacken gelegtem Kopf und duschfeuchtem, zurückgekämmtem Haar an der Wand. Die Hände steckten in den Taschen seiner grauen Jeans, der Knopf des
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