Elfenschwestern
Doch weder Rose noch Lily erwähnten das ihren Tanten gegenüber.
„Nichts, Lily“, sagte Gwyneth achselzuckend. „Evelyn ist noch genau derselbe eingebildete Langweiler wie früher.“
„Gwynnie!“ Grace setzte sich in ihrem Ledersessel kerzengrade.
„Auch wenn meine Schwester das anders zu sehen scheint“, vollendete Gwyneth. „Wirklich, Grace, was findest du an dem Kerl? Nach all der Zeit?“
Rose und Lily tauschten einen Blick. Grace stand wirklich auf den Duke? Und das schon länger?
Wie kann sie nur?, dachte Lily erschüttert. Der Typ ist eiskalt! Obwohl er, sie musste es zugeben, gut aussah. Fast wie ein älterer Alistair.
Grace hatte tatsächlich rote Wangen gekriegt.
Hübsch sah sie so aus, fand Lily. Wie ein junges Mädchen. Wie ein verlegenes junges Mädchen! Lily war sich sicher, dass ihre Tante nicht noch weiter über den Duke sprechen wollte, und wechselte hastig das Thema. „Ich habe es heute noch nicht geschafft, meine Mails zu checken. Hat sich Mom vielleicht bei einem von euch gemeldet?“, fragte sie in die Runde.
Roses Miene verschloss sich. Aber sie schüttelte den Kopf.
„Nein, Lily“, Grace lächelte lieb. „Das wird sie ja wohl auch nicht, bevor sie euren Vater gefunden hat.“
Roses Glas zersprang auf dem Steinboden. Die Scherben flogen meterweit. Einige der Umstehenden schauten herüber und einer der Männer in weißem Hemd und schwarzer Fliege eilte unauffällig davon. Wahrscheinlich, um ein Kehrblech oder so etwas zu holen.
Rose stand stocksteif da.
„Dad?“, flüsterte Lily. „Wie meinst du das, Dad?“
Gwyneth sah verwirrt von einer Schwester zur anderen. „Nun, Kate sagte doch, sie taucht erst wieder auf, wenn sie unseren großen Bruder aufgespürt hat. Ich befürchte, das wird dauern. Die letzte Nachricht, die wir von ihm bekamen, war eine Karte aus Aruba. Zu Graces Geburtstag. Und der ist im Mai.“
„Aber“, sagte Lily um den Kloß herum, der plötzlich in ihrem Hals steckte, „Mum sucht doch Grayson! Das hat sie uns geschrieben.“
„Hat sie?“ Gwyneth zuckte die Schultern.
Die Schwestern starrten sich an.
„Ich weiß es genau“, flüsterte Rose. „Wir hätten ja wohl mitgekriegt, wenn sie ihn erwähnt hätte.“
Lily überlegte fieberhaft. „Rose, was wenn sie in ihrem Brief zwar Gray geschrieben hat, aber nicht unseren Gray meinte? Also nicht Gray kurz für Grayson, sondern Gray für den Mann, nach dem unser Gray benannt ist.“
Konnte das sein?
„Zehn Jahre“, zischte Rose böse. „So lange ist es her, dass dieser Kerl, der sich unser Vater schimpft, aus unserem Leben verschwunden ist. Und jetzt läuft Kate los und bittet ihn um Hilfe. Ausgerechnet!“
Lily schielte nervös zu Grace und Gwyneth hinüber. Hoffentlich nahmen die beiden Roses Zorn nicht übel. Lord Gray Lancaster war immerhin ihr Bruder. Und wie es schien, verstanden sie sich mit ihm ganz gut.
Doch die Mienen der beiden Elfenfrauen zeigten nur Mitgefühl. Bis Grace noch tiefer errötete: Der Duke kam zurück. Wenn er die Scherben am Boden bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken.
„Meine Teure“, sagte er zu Grace. „Es ist angerichtet. Erweist du mir die Ehre, dich zu Tisch geleiten zu dürfen?“
Graces Wimpern flatterten. „Aber liebend gern, Evelyn.“
Sie erhob sich so graziös, wie sie auch alles andere tat, nahm seinen Arm und ließ sich von ihm durch die Menge führen.
Gwyneth stand seufzend auf. Sie machte Anstalten, sich ihnen anzuschließen. „Kommt ihr, Mädchen?“, fragte sie.
Lily sah ihre Schwester an, die weiß vor Wut war.
„Gib uns noch eine Minute, ja?“
Gwyneth nickte verständnisvoll.
Lily trat zu ihrer Schwester und schob ihre Hand in Roses. Gemeinsam beobachteten sie, wie die Gesellschaft der Fey dem Duke und Grace aus dem Kaminsaal hinaus zum Dinner folgte.
Wie ein Volk seinem König und seiner Herrscherin, dachte Lily. Irgendwie gefiel ihr dieses ganze Zeremoniell überhaupt nicht. „Ich will wieder nach Hause“, murmelte sie vor sich hin.
„Sag mir, dass du das nicht ernst meinst.“ Alistair tauchte neben ihr auf. „Sonst brichst du mir das Herz.“
Lily hatte vergessen, was für ein gutes Gehör er hatte. Fast wie sie selbst. „Ist das eigentlich normal?“, erkundigte sie sich bei dem jungen Earl. „Wenn nämlich jeder mit spitzen Ohren das Gras wachsen hören kann, werde ich hier überhaupt nichts mehr sagen.“
Er lachte laut heraus.
Der Klang schien Rose aus ihrer Schockstarre zu reißen. Sie blinzelte
Weitere Kostenlose Bücher