Elfenschwestern
Diese Mädchen beteten ja den Boden an, über den Alistair schritt!
Mary-Ann flüsterte Olive gerade etwas ins Ohr. Wahrscheinlich eine Gemeinheit darüber, dass Rose absichtlich in Alistairs Arme gesunken war oder so.
Constance und Lady Penelope allerdings begutachteten mit offensichtlichem Schrecken die Scherben, die still und leise von Männern mit schwarzen Fliegen zusammengeklaubt wurden.
„Wenn sie sich daran geschnitten hätte“, sagte Lady Penelope leise zu Constance. „Denk nur, was mit ihren Händen hätte passieren können. Oder mit ihrem Gesicht!“
Beide Mädchen schauderten.
„Ali.“ Olive trat mit Mary-Ann heran. „Alles klar? Diesen unfähigen Menschen solltet ihr wirklich entlassen.“
Alistair winkte lächelnd ab. „Alles ist gut, meine Damen. Keine Sorge.“
Porter Chapman meldete sich mit hochrotem Kopf zu Wort. „Es tut mir sehr leid. Ich wollte …“
„Nichts passiert“, unterbrach Alistair, ohne ihn anzusehen. Dafür schaute er zu Lily herüber.
Lily folgte seinem Blick. Sie entdeckte, dass Baskerville zu ihren Füßen saß. Der Hund duckte sich, legte die Ohren an und winselte, als Alistair vorsichtig Rose losließ und auf ihn zukam.
„Alter Gauner“, murmelte Alistair. Packte Baskervilles Halsband und schaute sich suchend in der Halle um. „Jamesson“, rief er halblaut.
Der ältere Mann, der den Duke im Kaminsaal über den Stand der Dinnervorbereitung informiert hatte und gerade das Zusammenkehren der Scherben beaufsichtigte, trat heran.
„Können Sie den Hund bitte in der Waschküche einsperren“, sagte Alistair. „Ich bringe ihn dann nach dem Essen selbst zu den Zwingern.“
Baskerville winselte lauter, als er das Wort „Zwinger“ hörte. Aber er tapste gehorsam neben Jamesson her, der ihn aus der Halle führte. Nur an dem zwischen die Hinterbeine geklemmten Schwanz erkannte man Baskervilles bedrückten Gemütszustand.
„Rosie?“ Lily berührte ihre Schwester vorsichtig am Arm. „Alles klar?“
Rose löste mühsam den Blick von Alistair. „Hast du das gesehen?“, fragte sie leise.
„Was genau?“, erkundigte sich Lily. Sie war etwas besorgt über den ungewöhnlichen Ausdruck im Gesicht ihrer Schwester. „Wie Porter die Gläser hat fallen lassen? Wie du fast in die Scherben gestürzt wärst? Oder wie Alistair wieder den Retter in der Not gegeben hat?“
„Ja“, sagte Rose leise. „Das.“
„Er ist einfach der Beste“, hauchte Lady Penelope. Sie war mit Constance neben Rose getreten und nun verschlangen alle drei Alistair York mit den Augen. „Ein göttlicher Mann. Ein wahrer Märchenprinz. Schade, dass er noch nie mich in seine Arme gerissen hat.“
„Oh. Mein. Gott“, stöhnte Constance wieder. „Oder mich! Ihr habt echt so ein Glück. Ihr seid erst ein paar Stunden da und schon schenkt er euch so viel Aufmerksamkeit. Wir sind richtig neidisch, das könnt ihr mir glauben.“
Beide Elfenmädchen seufzten sehnsüchtig. Und seufzten dann noch mal, weil Alistair sich mit einer Hand durchs blonde Haar fuhr, sich zu ihnen herumdrehte und sein Märchenprinz-Lächeln lächelte. Alles gleichzeitig.
„Und?“, fragte er, während er lässig zu ihnen herüberschlenderte. „Wildrose, was meinst du? Habe ich es mir jetzt verdient, euch zu Tisch zu begleiten?“
Lily erwartete von ihrer Schwester eine ihrer spöttischen Bemerkungen. Aber Rose schien es die Sprache verschlagen zu haben.
„Sicher“, antwortete Lily also statt ihrer. „Du kannst ja ganz nützlich sein, wie es scheint.“
Alistair lachte und bot jeder Schwester einen Arm. Lily ergriff seine Rechte mit einem kleinen Augenrollen, Rose aber legte ihre Finger sehr vorsichtig auf den mitternachtsblauen Brokat seines linken Ärmels. Und als die drei gefolgt von Penelope und Constance die Halle durchschritten, erwischte Lily ihre Schwester dabei, wie sie den Earl of Rosebery nachdenklich von der Seite betrachtete.
Von ihrem ersten Dinner in Englefield Park sollte Lily nicht viel in Erinnerung bleiben. Das Bild der langen, weiß gedeckten Tafel im Kerzenlicht, die Reihe ordentlich frisierter Köpfe mit spitzen Ohren, die jungen und älteren Gesichter, die sich ihr zuwandten, neugierig, skeptisch. Alistair, immer lächelnd, Rose, seltsam schweigend, seltsam entrückt. Der Duft von weißen Hyazinthen und rotem Wein. Das Lachen, das Reden und das Geräusch von Tafelsilber, das hin und wieder über hauchdünne Porzellanteller kratzte. Und dazwischen diese eine Insel der Stille und
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