Elfentausch
tun? Wo sie wohnen, was sie essen? Du würdest vielleicht überhaupt keinen Anschluss finden und nirgends dazugehören!«
»Aber ich habe gedacht, ich kann wieder nach Hause gehen!«, jammerte Evelin.
»Nach Hause?«, fragte die Hexe. Wie stellst du dir das vor? Meinst du, du kannst als Elfe an der Haustür klingeln und deine Eltern würden dich hereinbitten und dich den ganzen Tag durchs Haus schweben lassen? Und wie würdest du in die Schule gehen? Oder würdest du dein Leben lang in einem Elfenkörper gefangen in einem Haus sitzen und spielen? Nein, wenn, dann musst du mit Tamara die Seele tauschen und als Elfe nach Elfenhausen zurückkehren, in Tamaras Familie. Und Tamara wird mit dir tauschen und zu deinen Eltern zurückkehren. Sie wird zur Schule gehen und einen Beruf lernen und später vielleicht eine Familie gründen. Aber ihr werdet nie wieder in euer früheres Leben zurückkönnen. Ist euch das klar? Ist es das, was ihr euch von mir wünscht?« Die Hexe materialisierte sich noch einmal den Kaffee und beobachtete die beiden gespannt.
Diese Rede sollte eigentlich wirken. Sie hatte nicht übertrieben. Sie war sogar besonders nett gewesen. Normalerweise erfüllte sie einfach die Wünsche und sah dann zu, wie die Personen damit umgingen. Die meisten wählten ihre Wünsche schlecht und versauten sich dadurch alles. Und dann hieß es immer: Die Hexe ist schuld! Sie ist böse! Aber diese jungen Dinger konnte sie nicht einfach so ihrem Schicksal überlassen. Und wenn sie sich beim Blick in die Zukunft nicht vertan hatte, dann sollte es eigentlich auch funktionieren. Die Freundinnen schauten einander an und die ersten Tränen kullerten ihnen die Backen hinunter.
»Was machen wir denn nun?«, fragte Evelin. »Ich wäre wirklich gerne eine Elfe – aber nie wieder nach Hause gehen? Nie wieder meine Eltern sehen? Als einsame kleine Elfe durch den Wald schweben? Ganz allein? Und in deinem Körper? So hatte ich mir das nicht vorgestellt.« Evelin schluchzte. »Ich will auch nicht nur in die Schule gehen und einen Beruf lernen und arbeiten. Ich will lieber Spaß haben! Und ich will auch nicht für immer auf meine Familie verzichten! Oje, was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich habe mir das so schön vorgestellt und jetzt ist alles ganz anders. Nichts von alledem, was ich gerne hätte, habe ich nun bekommen und ich werde es auch nie haben!«
Tamara schluchzte nun ebenfalls.
»Das ist nicht ganz richtig!«, mischte sich die Hexe ein. »Ich habe ja nicht gesagt, dass ich eure Wünsche nicht erfüllen werde. Ich wollte nur ganz sicher sein, dass ihr das bekommt, was ihr wollt. Also, wenn ihr bitte aufstehen würdet, dann können wir eure Seelen tauschen.« Sie erhob sich aus dem Schaukelstuhl, der gleich darauf verschwand. »Seid ihr bereit?« Die Hexe hob die Arme theatralisch in die Höhe und murmelte einen Zauberspruch.
»Nein, warte«, rief Evelin als Erste. Dann drehte sie sich zu Tamara um. »Es tut mir so leid, aber ich kann das nicht. Bitte verzeih mir!«
»Es ist schon gut«, weinte Tamara. »Ich will es auch nicht mehr.« Rüdiger blickte traurig auf seine Freundinnen. Schade, dass sich ihre Wünsche nicht erfüllt hatten. Aber so wie es aussah, war der Wunsch wohl doch nicht stark genug, um alle Familienbande zu durchtrennen. Aber egal, wie sich die beiden entschieden hätten, Rüdiger hätte sie auf jeden Fall beide verlassen müssen. Er konnte weder im Elfendorf wohnen, noch bei Evelin zu Hause. Da kam ihm plötzlich eine gute Idee.
»Also, wenn ihr den Wunsch nicht mehr habt, wollt ihr dann stattdessen vielleicht nach Hause wie beim letzten Mal?«, fragte die Hexe. Die beiden Freundinnen nickten. »Gut, dann zaubere ich euch jetzt zurück, aber ich werde eure Erinnerungen nicht löschen, sonst seid ihr vielleicht bald wieder bei mir. Außerdem habt ihr so wichtige Dinge erlebt und so wertvolle Erfahrungen gemacht, dass ihr sie euch unbedingt bewahren solltet. So ein Abenteuer werdet ihr vielleicht nie wieder erleben.« Sie stutzte und verbesserte sich dann: »So ein Abenteuer werdet ihr ganz sicher nie wieder erleben. Seid ihr bereit?«
»Moment!«, rief Rüdiger dazwischen. »Wir müssen uns doch noch kurz voneinander verabschieden.«
»Ja, natürlich«, rief Evelin und hob Rüdiger zu sich auf den Schoß, wo sie ihn traurig kraulte. Tamara flatterte ebenfalls herbei und umarmte abwechselnd Rüdiger und versuchsweise auch Evelin, wofür ihre Ärmchen aber zu kurz waren. Sie waren so traurig und
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