Elfentausch
Einhörner waren ja Fluchttiere, wie Pferde, und hatten Rüdiger sehr wohl aus den Augenwinkeln bemerkt. Aber verlorene Haare waren für sie so wichtig wie den Menschen die Haare in einer Haarbürste. Sie wunderten sich also, warum Rüdiger so heimlich versucht hatte, die Haare zu stehlen – andere Vögel holten die Haare schließlich auch zum Nestbau – und grasten dann einfach weiter. Rüdiger flog pfeilschnell zu seinen Freundinnen zurück, so glücklich war er und so stolz auf sich selbst, dass er dabei ganz vergaß, dass er ja nicht so schnell fliegen sollte. Als er zum Landeanflug langsamer wurde, merkte er schon, dass ihm schlecht war. Schnell ließ er sich unelegant zu Boden plumpsen, drückte die Haare mit dem Schnabel in Evelins Hosentasche und wendete sich schnell ab, um sich auf einen Löwenzahn zu übergeben.
Evelin blickte verdutzt auf die Haare, aber es gab ja nicht sehr viele Möglichkeiten, worum es sich dabei handeln konnte. Freudestrahlend zeigte sie die Haare Tamara und wickelte sie dann ganz klein zusammen, damit sie sie in das Taschentuch zu der Nixenschuppe packen konnte. Sie tätschelte noch einmal glücklich die Hosentasche und ging dann zu Rüdiger hinüber, um ihm zu helfen. Doch er hatte sich schon wieder beruhigt. Er hatte ja nicht viel im Magen gehabt und vor lauter Freude vergaß er sogar, dass ihm normalerweise viel länger übel war. So gut reagiert der Körper also auf unsere Gedanken! Stolz blickte er seine Freundinnen an und plusterte sich zu voller Größe auf. »Na, was sagt ihr?«
»Wir sind so stolz auf dich, Rüdiger!«, jubelte Tamara und flatterte zu Rüdigers Gesicht, um ihm einen fetten Schmatz mitten auf das Stirngefieder zu drücken.
»Ja, genau. Wir sind sogar wahnsinnig stolz auf dich!«, jubelte auch Evelin und tanzte um ihn herum. »Und jetzt sollten wir ganz schnell wieder zu der Hexe zurück und uns unsere Wünsche erfüllen lassen!«
Gut gelaunt stiegen sie auf Rüdigers Rücken und dieser flog so schnell er konnte – das heißt, so schnell wie möglich, ohne die Passagiere zu verlieren – zurück in den Sumpf zur Hexe. Die würde vielleicht Augen machen!
Natürlich konnte Rüdiger nicht die ganze Nacht durchfliegen und er war es auch nicht gewohnt, stundenlang mit Passagieren auf dem Rücken durch starke Gegenwinde zu manövrieren. Deshalb machten sie trotz ihrer Vorfreude einige Male Rast und schliefen in der Nacht in einem verlassenen Vogelnest, damit sie frisch ausgeruht bei der Hexe ankommen würden.
Evelin hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange war sie nun schon unterwegs, seit sie Tamara auf dem Spielplatz getroffen hatte? Eine Woche? Zwei Wochen? Sie wusste es nicht und es war ihr auch egal. Sie war froh, dass sie so liebe Freunde gefunden hatte und dass sich ihr sehnlichster Wunsch bald erfüllen würde. An Rüdiger gekuschelt schlief sie in dem Vogelnest ein. Alle drei schliefen glücklich die ganze Nacht durch und machten sich frühmorgens gleich wieder auf den Weg. Sie waren so aufgeregt, dass sie nicht einmal Hunger hatten. Sie wollten einfach nur zur Hexe zurück.
WIEDER BEI DER HEXE
Am Ende des Tages – es war ein Sonntag - konnten sie endlich den Sumpf erblicken. Sie würden es vor Einbruch der Dämmerung gerade noch bis zur Hexe schaffen.
»Sollen wir sie wirklich am Abend noch stören?«, fragte Tamara.
»Glaubst du etwa, wir schlafen im gefährlichen Sumpf?«, mahnte Evelin.
»Nein danke«, sagte auch Rüdiger. »Ich bin dafür, dass wir es gleich hinter uns bringen. Haltet euch gut fest, wir werden noch ein wenig beschleunigen!« Er sauste so schnell wie er es verantworten konnte auf die Hütte der Hexe zu.
»Besuch!«, sagte die Hexe und Karamba murrte.
»Wer ist es diesmal?«, fragte er.
»Unsere Abenteurer sind zurück!«, meinte die Hexe. »Und ich glaube, sie haben auch etwas mitgebracht!«
Wenig später klopfte es laut und zuversichtlich an die Tür. Rüdiger hatte überschwänglich mit dem Schnabel dagegen geklopft.
»Nicht so laut, sonst wird sie noch wütend!«, mahnte Tamara.
Rüdiger blieb keine Zeit für eine Erwiderung, denn die Tür öffnete sich und die Hexe bat die kleine Truppe herein. Im Wohnzimmer hatte sie wieder ein Willkommensmahl bereitet und auch für Rüdiger einen Baum wachsen lassen. Evelin bemerkte kurz, dass sie vergessen hatte, sich wieder groß zu zaubern, aber das war ja nun sowieso egal. Die Hexe schaute Evelin kurz an und schnippte mit den Fingern. Evelin war wieder
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