Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
hatte er Nadja in den höchsten Tönen von seinem Glück vorgeschwärmt. Um sie zu beruhigen und ihr nicht den Eindruck zu vermitteln, dass sie außer der ganzen Welt auch noch ihn retten müsste. Er hatte sich etwas vorgemacht und die offensichtlichen Probleme zu ignorieren versucht. Allmählich begann sich der rosarote Nebel zu lichten und machte den Blick auf die nackte Wahrheit frei. Robert steckte in einem tödlichen Spiel fest.
In Gedanken versunken schlich er an den Ausstellungsstücken und Vitrinen vorbei, ohne groß Notiz von ihrem Inhalt zu nehmen. Da ein paar alte Kleidungsstücke der Hofdamen, dort eine original Ritterrüstung aus der Zeit der Habsburger. Düstere Porträts an den Wänden und ausgeblichene Schriftstücke hinter Glas. Nichts konnte ihn reizen, nichts aus der immer tiefer in ihn sickernden Depression locken – bis sein Blick eine DIN-A4 große Schwarz-Weiß-Kopie eines Gemäldes streifte.
Wie vom Donner gerührt blieb Robert stehen, riss die Augen auf und starrte fassungslos auf die dargestellte Szene. Jene, die vor gut einer Stunde in einer Schreckensvision vor seinen eigenen Augen zum Leben erwacht war! Der Schnee! Die zu Eisskulpturen erstarrten Mädchen! Das feixende Gesinde! Was er gesehen hatte, war kein Ergebnis zu großer Fantasie gewesen, sondern ein Widerhall der Vergangenheit.
Roberts Herz raste. Beinahe drückte er seine Nase an die Vitrinenscheibe, als er nach dem Alten suchte. Jarosh, wo hatte er gestanden? Doch statt ihm fand er
sie
. Von ihren Bediensteten umringt, hielt Elisabeth Báthory Hof und ergötzte sich an ihrem grausamen Werk.
Als Robert fast schon glaubte, ihr klirrendes Gelächter zu hören, übermannte ihn eine Welle aus Angst und Abscheu. Mit einem Mal wurde ihm alles zu viel – die Situation mit Anne, der Alkohol am Mittag, der Geisterspuk. Mit vorgehaltener Hand lief er los, rannte zurück auf die Straße und erbrach die Reste des mittäglichen Saufgelages in den Rinnstein.
5 Erwachen
Nadja erwachte und roch die fremde Welt, noch bevor sie die Augen geöffnet hatte. Ein Potpourri aus Zimt, würzigem Honig und Tee lag in der Luft, streichelte ihre Nase und hinterließ samtig süße Spuren auf der Zunge.
So muss Manna schmecken
, dachte sie, stieß einen wohligen Seufzer aus, reckte die Arme und richtete sich schlaftrunken auf.
»Träume ich?« Verwundert rieb sie sich über die Augen, doch das vermeintliche Trugbild blieb. Eben noch auf dem Schlachtfeld, befand sie sich plötzlich an einem Ort, der von Ruhe und purer Harmonie erfüllt war. Sah so das Paradies aus? Ein nie gekanntes Gefühl von Leichtigkeit und Euphorie durchströmte Nadja, während sie ihre Umgebung in allen Details wahrnahm.
Sie saß auf einem mit Seidenkissen gepolsterten Diwan in einem Turmzimmer mit smaragdfarbenem Kuppeldach und offenen Rundbogenfenstern. Rosenblätter tanzten in kleinen Windhosen über den glatt geschliffenen Sandsteinboden. An den Säulen, die mit kunstvollen Malereien verziert waren, standen zierliche Hochtische mit Tellern voll exotischer Früchte, dampfendem Fladenbrot und Schälchen mit goldgelb leuchtendem Honig. Der Raum musste viele Stockwerke hoch sein, denn alles, was Nadja durch die bis zum Boden reichenden Fenster sah, war ein strahlend blauer Himmel.
»Bin ich tot?«, fragte sie laut, um ihre Stimme zu hören und sich zu versichern, dass dies nicht nur in ihrem Kopf geschah.
Und sie fuhr erschrocken herum, als hinter ihr jemand leise und mit glöckchengleicher Stimme kicherte.
In einem der Rundbögen, kaum vom azurfarbenen Hintergrund zu unterscheiden, stand eine Elfe. Der Himmel schien sich auf ihrer blassen Haut zu spiegeln und in den Stoff ihres um den Körper geschlungenen Saris zu fließen. Einzig ihre vollkommen safranfarbenen Augen stachen aus dieser Ton in Ton gehaltenen Komposition hervor und wirkten umso eindrucksvoller.
Indien. Sie musste in Indien sein. Aber nicht in der Menschenwelt. Was hatte der Getreue angerichtet?
»Darf ich dir beim Anlegen des Wickeltuchs helfen, Sahiba?«, fragte die Elfe, trat ein paar Schritte vor und zeigte mit einem angedeuteten Nicken auf den gefalteten Stoff am Fußende des Diwans. Für einen Moment wunderte sich Nadja, warum sie die Sprache des fremden Wesens verstand. Ob das auch in die andere Richtung funktionierte?
»Eigentlich hätte ich zuerst einmal gerne gewusst, wo ich bin und wie ich hierherkomme«, sagte die Journalistin testweise, erhob sich und stellte dabei irritiert fest, dass sie das
Weitere Kostenlose Bücher