Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
schmecken. Der König saß auf einem leicht erhöhten Podest, umringt von jungen Frauen, die ihm Obst, Brot und Tee darboten. Springbrunnen, bekrönt mit zu Bögen gebundenen Buchsbäumen, untermalten die Szene mit sanftem Geplätscher.
Nadja fühlte sich wie erschlagen von den Eindrücken. Erst auf den zweiten Blick bemerkte sie, dass einige der Gäste mehr als bloße Elfen zu sein schienen. Da gab es Wesen mit zusätzlichen Armpaaren, blauhäutige Schönheiten mit blutroten Lippen und Haaren, die sich wie Schlangen auf dem Kopf wanden. Aber auch Tierisches mischte sich zwischen die Schar. Ein Riesenpython saß halb aufgerichtet an einem der Tischchen und schien sich angeregt zu unterhalten. Zwei weiße Tiger rekelten sich faul auf den Kissen, während ihnen eine Horde Rhesusäffchen das Fell lauste. Schillernde Vögel sausten vergnügt von einem Teller mit Leckereien zum nächsten und zwitscherten durcheinander.
Silinia schob Nadja sanft vorwärts Richtung Thron. Auf halber Strecke hielt sie inne und verneigte sich vor dem Maharadscha – die Hände flach vor der Brust aneinandergelegt wie zum Gebet. »Dies ist Rabin Dranath Takur, König von Jangala, Herrscher über das Reich in der ewigen Blüte, Richter und Gerichteter unter dem Banner des weißen Pfaus.«
Ein Moment der Stille verging, und als Nadja schon dazu ansetzen wollte, sich selbst vorzustellen, hob die Dienerin den Kopf und sagte mit lauter Stimme: »Dies ist Nadja Oreso, Tochter von Fiomha, Mutter des noch ungeborenen Kindes von Dafydd, dem Sohn des Königs der Sidhe Crain, Grenzgängerin und …«, die junge Elfe stockte in ihrem Redefluss, »… und zur Hälfte menschlich.«
Ein Raunen lief durch die Reihe der Zuhörer. Die Gespräche verstummten. Dutzende Augenpaare richteten sich auf Nadja, die vor Verlegenheit an ihrer ungewohnten Kleidung herumzupfte. Wer immer sie hierher gebracht hatte, kannte Details, die nicht mal eben so im Telefonbuch standen. Andererseits hatte sich ihre Schwangerschaft seit dem Auftritt vor Fanmór sicherlich wie ein Lauffeuer in der Elfenwelt herumgesprochen. Schließlich waren Geburten in der Anderswelt etwas sehr Seltenes. Doch Nadja hatte nicht vor, sich einfach zum Ausstellungsstück für Schaulustige machen zu lassen.
Ohne große Verbeugung oder Hofknicks ging sie auf den Maharadscha zu, der in seinem ausladenden und pompös mit Goldstickereien verzierten Kaftan saß. »Ich grüße Euch, Hoheit«, sagte sie freundlich und bemühte sich, nicht zu staunend auf seinen übergroßen und mit Edelsteinen besetzten Turban zu starren. »Und ich danke für die Einladung, meine Fragen zu beantworten.« Sie hatte Fanmór und dem grauen Herrn Samhain die Stirn geboten, da würde sie sich nicht vor einem indischen König fürchten, der sie gegen ihren Willen gefangen hielt.
Für einen Augenblick war nur das gleichmäßige Rauschen des Wassers zu hören. Die Frauen rund um den König hatten furchtsam ihre Köpfe eingezogen und sahen angespannt zu ihm auf. Doch Nadja ließ sich nicht beirren. Pomp und Titel hin oder her, Respekt musste man sich verdienen. Um die Wogen ein wenig zu glätten, fügte sie hinzu: »Zumindest hat es mir Eure Dienerin so übermittelt.«
Aus der Nähe betrachtet wirkte das Gesicht des Maharadschas im Vergleich zu den elfischen Zügen, die Nadja bisher als typisch empfunden hatte, ein wenig zu rund. Seine Ohren liefen spitz zu, waren aber kleiner als die von David oder Rian. Das Haar hatte die Farbe von im Schatten wachsenden Moosflechten und kräuselte sich an den schulterlangen Enden zu Spiralen. Seine Augen dagegen glommen wie sonnendurchflutete Smaragde.
Als er seine Stimme erhob, erinnerte sie Nadja an das Brummen einer Hummel. Tief, aber in der Lautstärke flatternd, kamen die Worte aus seinem Mund. »Silinia ist keine Dienerin. Sie ist meine Gemahlin wie alle Frauen hier.« Sein Blick ruhte auf Nadja, als er mit anzüglichem Lächeln fortfuhr: »Da du fremd in diesem Land bist, sei dir deine Unwissenheit verziehen.«
»Aus welchem Grund bin ich hier?«, beharrte Nadja auf Antwort.
Rabin Dranath Takur zupfte eine Traube ab und steckte sie sich genüsslich in den Mund, ganz offensichtlich amüsiert über ihr Selbstbewusstsein. »Wir haben dich auf besonderen Wunsch als Gast aufgenommen und versprochen, auf dich und dein Kind achtzugeben«, sagte er.
»Wem habt Ihr das versprochen?«
»Deinem Retter, den ihr Westlichen den Getreuen nennt. Er ist vor mich getreten, dich in den Armen haltend.
Weitere Kostenlose Bücher