Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
für immer zu verderben.
Wenn er die Augen schloss und sich zu jenem Augenblick zurückversetzte, konnte er die Süße ihrer Lippen immer noch spüren, ihren herben Duft riechen und diese mit Quecksilber angefüllten Augen vor sich sehen. Damals, als er noch fast ein Junge gewesen war. Gerade mal volljährig und gesund. Er war mit seinen Freunden in diese angesagte Disco gegangen, 20. Straße Ecke Sechste Avenue – das sagenumwobene »Limelight«.
Ein Ort, an dem die Gesetze ausgehebelt schienen und nur das allseits präsente Motto galt: Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll. Was für eine grandiose Atmosphäre – provokant, grotesk, bigott. Die Glaubenskrieger hatten aufgeschrien, als bekannt geworden war, dass jemand eine altehrwürdige Kirche zu einem Nachtklub umfunktioniert hatte, und das ausgerechnet im Zentrum von Manhattan.
Dagegen war das »Duvet« nur eine billige Absteige. Ein mit hübscher Seide ausgekleideter »Puff to Go«. Dort bekam man auf die Schnelle, was man suchte, und blieb bei etwaigen Zwischenfällen unbehelligt, solange man nur die richtige Summe auf den Tresen legte. Die Mädchen wussten normalerweise, auf was sie sich mit einem Besuch in so einem Etablissement einließen. Zumindest nahmen sie die Aussicht auf Sex gegen finanzielle Gegenleistung in Kauf. Etwaige Vorlieben der Freier gehörten eben zu den üblichen Risiken. Und so ein bisschen Würgen, was war da schon dabei? Tanner ließ die Hände bei der Erinnerung an den Abend mit Maja knacken. Die Kleine hatte es überlebt und ein ordentliches Trinkgeld bekommen. So hatte jeder erhalten, was er wollte.
Aber im »Limelight« war es anders zugegangen. Damals hatte er noch auf eine Ouvertüre Wert gelegt, die Mädchen leidenschaftlich umworben und bevorzugt jene gejagt, die es ihm am schwersten machten. Es war ein unschuldigeres Spiel gewesen, trotz der Flut an Drogen. Mehrfach war der Klub wegen Razzien geschlossen und neu eröffnet worden und hatte einen neuen Besitzer erhalten. Der hatte den Laden in »Avalon« umgetauft, der Diskothek ein neues Konzept mit mehr Style für mehr VIPs verordnet und damit den Untergang im Einheitsbrei besiegelt. Dabei war »Avalon« ein überhaus passender Name gewesen, denn den Nachtklub hatten nicht nur Menschen besucht.
Seit frühester Kindheit lief Tanner übernatürlichen Phänomenen hinterher. Er hatte darüber gelesen und seinen Blick für das Absonderliche offen gehalten. Deshalb war er sich sicher, dass es eine Elfe gewesen war, die ihm damals so grausam seine Unschuld genommen hatte – mit einem einzigen Kuss. Nichts konnte ihn seither füllen, nichts wirklich befriedigen, egal wie sehr er seine Gefühle in die Extreme führte.
So viele Jahre hatte er nach einer Bestätigung gesucht und nach einer weiteren Gelegenheit, einem dieser schauerlichen Wesen gegenüberzutreten. Und nun servierte ihm das Schicksal unverhofft gleich zwei davon: Nadja Oreso und Anne Lanschie.
Abe, sein ehemaliger Lehrer, hatte diese Anne in seinen Schriften lapidar als Muse bezeichnet. Doch davon gab es nach Tanners Wissensstand viele, mit den unterschiedlichsten Talenten. Diese hier, das spürte er, war etwas Besonderes. Oben auf dem Berg, im Innenhof der Ruine, hatte er ihre unglaubliche Macht gespürt und buchstäblich gesehen, wie sie diesen erbärmlichen Möchtegernkünstler durch die Welten und Gezeiten zurück ins Jetzt gezogen hatte. Mit entblößten Reißzähnen hatte sie sich gegen die Schatten gestellt, die an diesem Jämmerling gezerrt hatten, und sie hatte gewonnen.
Anne verkörperte die Dreifaltigkeit des Schreckens: Elfe – Muse – Vampirfrau. Und sie hatte Tanner auf eine Idee gebracht, die mit etwas Glück seinen Krebs heilen und damit sein Leben verlängern würde. Mehr noch! In diesem Augenblick vollkommener Genialität hatte er den Schlüssel zur Unsterblichkeit entdeckt, nach dem so viele suchten! Nadja war immer noch wie vom Erdboden verschwunden, diese Anne dagegen zum Greifen nahe. Doch für die Umsetzung seines Plans würde er Hilfe brauchen.
Mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen nahm Tanner den kleinen Metallkoffer, den er auf Reisen immer dabeihatte, klappte ihn auf und betrachtete die in kleinen Fläschchen und Phiolen abgefüllten Schätze.
7 Die düstere Seite der Wahrheit
Robert schleppte sich die Straße entlang zurück zum Hotel. Er musste mit Anne sprechen. Dringend.
Mittlerweile war es früher Abend, die drückende Hitze hatte abgenommen. Der Himmel war von schmutzigen
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