Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
offenbar bereits in seinen Augen ablesen konnte.
Nervös ging Robert auf und ab. »Was geschieht hier?«, platzte es schließlich aus ihm heraus. »Und was geschieht mit mir? Drehe ich durch? Oder hat das etwas mit dieser Musensache zu tun? Schneide ich mir als Nächstes ein Ohr ab, oder wie soll das weitergehen?« Er plapperte, das merkte er selbst. Und er wusste, warum. Wenn die Antwort auf eine dieser Fragen »Ja« lauten sollte, wollte er sie vielleicht gar nicht hören.
Anne legte schweigend ihre Hand auf die Bettdecke. Robert zögerte kurz, dann folgte er der Aufforderung und setzte sich zu ihr. Der Deckenbezug war verwaschen und hatte ein schrecklich geblümtes Muster, ähnlich wie die Tapete auf dem Gang. Aber er roch angenehm nach Lavendel. Oder war es Anne?
Unsicher zupfte Robert am Stoff und blickte ihr dann zaghaft ins Gesicht.
»Es liegt an dir und mir«, begann Anne in ruhigem Ton. »Du bist ein Grenzgänger …«
»Aber ich habe doch früher nicht auf jedem Friedhof die Toten schreien hören«, unterbrach Robert sie.
Annes Brauen zuckten, doch ihre Stimme zeigte keine Gefühlsregung, als sie weitersprach. »Ich sagte, es liegt an dir
und
mir. Du siehst, was du unbewusst zu sehen forderst. Also das, was du als mögliche Manifestation aus der Anderswelt zulässt. Das, wovor du am meisten Angst hast.«
»Der Tod«, flüsterte Robert und sah ihr Hilfe suchend in die Augen. »Meine Angst vor dem Tod ist es also, die dies alles bewirkt?«
»Du bist nicht schuld, Robert. Rede dir das nicht ein.«
Er hob die Hände, als wolle er nach einem rettenden Strohhalm tasten. Und Anne kam ihm mit ihren entgegen. »Deine Angst macht dich empfänglich für die Aura der Schattenseite. Bandorchus Wirken trägt ihren Teil dazu bei. Die Grenzen zwischen den Welten werden zusehends durchlässiger.«
»Dann war ich oben in der Ruine für einen Moment im Totenreich?«, fragte er mit zittriger Stimme.
»Nein, denn wenn es so etwas in der Menschenwelt überhaupt gibt, hätte ich keinen Einfluss dort. Es war mehr ein Echo der Vergangenheit, eine Erinnerung, die an dem Ort gespeichert ist. So etwas geschieht manchmal bei besonders grausigen, aber auch besonders erhabenen Ereignissen. Sie prägen sich wie ein Stempel in ihre Umgebung ein. Stell dir Information als energetische Teilchen vor, und die Steine, Pflanzen und geomantischen Kreuzungspunkte sind Speicher.«
»Wie ein Computerchip?«
Anne wiegte den Kopf. »So in etwa. Nur, dass diese Erinnerung auf einer parallelen Ebene liegt, quasi auf halbem Weg in die Anderswelt. Bei so etwas ist immer ein Hauch Magie im Spiel. Willentlich oder unwillentlich gewirkt. Die Ley-Linien sind ein Beispiel.«
Robert tat sich schwer mit dieser Vorstellung. Die Geschichte wollte logisch nicht zusammenpassen. »Warum habe ich dann diesen Jarosh statt der Gräfin in der Vergangenheit gesehen? Sie war die eigentliche Hauptdarstellerin in diesem Schreckenstheater!«
Er ließ sich in die Kissen fallen und starrte grübelnd an die Decke. Anne beugte sich über ihn; ihre Gesichtszüge hatten sich entspannt. Sie lächelte und strich ihm zärtlich über den Nasenrücken, über die Lippen bis hinunter zur Kinnspitze.
»Ist dir aufgefallen, wie lebhaft der Alte von seiner Familiengeschichte erzählt hat?«, fragte sie. »Fast so, als hätte er alles selbst erlebt, nicht wahr?«
Robert schwante, was jetzt kam. Der seltsame Kerl musste ein Elf sein. Einer, der mit der Zeit seine alte Identität verloren hatte. Ohne die typischen Merkmale wie spitze Ohren oder vollfarbene Augen, aber mit langem Leben beschenkt. Vielleicht war er auch einer dieser Tiergestaltigen, von denen Nadja ihm erzählt hatte. Während ihres Ganges zur Burgruine hatte sich Robert verfolgt gefühlt. Ob
er
das gewesen war?
Mit einem Mal fühlte Robert den Drang, Nadja anzurufen und ihr von seiner Misere zu erzählen. Sie hatte ihn schon früher in seinen Tiefs aufgefangen und mit sanfter Gewalt zurück ins Sonnenlicht gezerrt. Doch Annes zarte Fingerspiele auf seinem Gesicht bannten ihn aufs Bett, und seine Gedanken kehrten zurück zu den noch offenen Fragen. »Trotzdem. Ich habe im Museum die Fotokopie eines Gemäldes gesehen, das die gleiche Szene wie in der Burg gezeigt hat. Nur war auf dem Bild die Gräfin abgebildet, und in meiner Vergangenheitsschau fehlte sie. Warum?«
Anne schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Sie küsste ihn auf die Stirn. »Aber ich könnte es vielleicht herausfinden.«
»Wie?«
»Das
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