Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
vor Raserei aufschrie.
Wenn du jetzt nicht den Mut findest, mich in die ewige Hölle zu schicken, werde ich dir ein ganzes Zeitalter lang Qualen zufügen, die dich wahnsinnig werden und in einen bodenlosen Abgrund stürzen lassen. Selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue!
Anne sah die Schatten schwarzer Vögel am Himmel kreisen. Sie hörte ihre Warnrufe in der Ferne, während ihr Bewusstsein schwand. Das staubige Husten des Ghuls ging im Rauschen ihres Blutes unter. Dunkelheit legte sich um sie und nahm ihr jede Empfindung. Ganz sanft glitt sie hinüber, durchschritt eine der Pforten und wandelte in entfernte Schichten der Zeit.
Als Anne die Augen aufschlug, war da nichts als Schwärze. Enge, bedrückende Schwärze. Die Vampirin tastete um sich und erfühlte nachlässig abgeschliffenes Holz am Boden, an den Seiten und an der Decke, kaum zwei Handspannen über ihr.
Ein Sarg!
Panisch drückte sie gegen den Deckel und schleuderte ihn mit aller Macht von sich. Späne flogen blitzartig, wo ihre Handballen auf das Holz trafen. Die Abdeckung gab nach, segelte in hohem Bogen davon und zerbarst hörbar auf hartem Boden. Und endlich war Licht! Der fahle Schein des heraufziehenden Morgens fiel durch einen offenen Torbogen.
Erleichtert atmete Anne durch und richtete sich auf. Der Sarg, in dem sie saß, stand aufgebockt in einem kahlen fensterlosen Raum. Eine Spur Weihrauchduft lag in der Luft, wo er sich mit dem Geruch nassen Grases vermischte. Anne kletterte aus ihrem hölzernen Gefängnis. Sie spürte den kalten Steinboden und registrierte, dass sie barfuß war. Ihr luftiges Sommerkleid hatte man mit einem sackähnlichen Fetzen aus Jute getauscht. Nicht einmal Unterwäsche hatte man ihr gelassen. Aber viel beunruhigender war, dass ihr diese ganze Szenerie irgendwie bekannt vorkam. Ein Déjà-vu?
Immer noch etwas steif vom langen Liegen, stakste sie nach draußen, um sich zu orientieren. Der kleine Raum, in dem sie gelegen hatte, entpuppte sich als schmuckloses Steingebäude. Grob behauene Quader, die sich übereinander türmten und mit sandfarbenem Mörtel geschichtet waren. Als Abschluss thronte ein mit handbehauenen Schieferplatten gedecktes Spitzdach über dem Bau. Außen neben dem Torbogen war eine einfache Holztür mit Schieberiegel angebracht, die offen stand.
Rund um das Gebäude wucherte kniehohes Gras und breitete sich im Osten bis zu einem Obsthain aus, während es im Westen nach wenigen Metern an eine Kirche in typisch gotischem Stil angrenzte. Davor und zur Sonne ausgerichtet lagen mehrere Dutzend Gräber, die meisten mit Kreuzen bestückt, einige von Rankenpflanzen überwuchert. Andere wiederum zierten Blumen oder Inschriftenplatten.
Augenscheinlich hatte man Anne in ein Leichenhaus gebracht, als Vorbereitung für ihre Bestattung. Wer immer sie gefunden hatte, wusste demnach nichts über ihre wahre Natur. Auch wenn ihr Puls vielleicht durch das Gift kaum fühlbar gewesen war, hätten Robert oder Tanner diesen Fehler nie begangen. Beiden wäre klar gewesen, dass man eine Muse nicht einfach so mit einer Injektion umbrachte. Egal wie lähmend sich das Mittel auf sie ausgewirkt haben mochte.
Anne starrte auf eine Gruppe Zwetschgenbäume und versuchte, das Geschehene nachzuvollziehen. Das war auf keinen Fall der Friedhof, auf dem sie in der Nacht den Ghul getroffen hatte. Dem Geruch nach war es nicht einmal derselbe Ort oder dieselbe Gegend – keinerlei Fäulnis in der Luft, nur der Duft von Gras, auf dem eine Schicht Morgentau lag.
Selbst wenn man sie im Dorf für tot gehalten hätte, hätte man sie wohl kaum einfach klammheimlich fortgeschafft. Das hätte Robert nie zugelassen, schon, weil der Bund sie aneinander kettete, ob ihm das nun gefiel oder nicht. Und wenn doch, hätte er sie aus romantischen Gründen bestimmt auf die Isle of Man zurückgebracht. Aber sie war nicht in England. Das war fremder Boden, sie spürte es deutlich.
Und wenn Tanner Robert etwas Ähnliches angetan hat? Wenn er ihn umgebracht hat?
, schoss es ihr durch den Kopf. Sie horchte in sich hinein, fahndete nach der unsichtbaren Schnur, die sie mit ihrem Schützling verband. Doch da war nichts. Nichts außer dieser nagenden Leere, die nur die Essenz einer Künstlerseele füllen konnte.
Als die Turmuhr der Kirche zur halben Stunde läutete, krampfte sich Annes Magen vor Angst zusammen. Was, wenn nicht nur Stunden oder Tage, sondern Jahre vergangen waren? Ihr Blick fiel auf ihre Hände und suchte nach Spuren des Älterwerdens, die
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