Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
die Pfählung bewegungsunfähig war, auf die versammelte Bevölkerung des Dorfes: ein Monstrum aus sich nebeneinander drängenden Leibern. Kinder spuckten nach ihr, warfen mit verfaultem Obst, mit Dreck, mit Steinen. Die Frauen versuchten sich gegenseitig mit ihren geschrienen Schmähungen und Verwünschungen zu übertreffen. Männer drohten ihr mit erhobenen Fäusten und vor Wut geröteten Gesichtern.
Panik ließ Anne erzittern. Im Rücken spürte sie den Holzstamm, um den ihre Hände gebunden waren. Zu ihren Füßen, fein säuberlich aufgestapelt und mit Reisig gestopft, türmte sich ein gut zwei Meter hoher Holzstoß.
Krähen hatten sich im Hintergrund rund um den Platz versammelt. Die Tiere beobachteten das Geschehen stumm und harrten auf eine Chance, sich ihren Anteil am bevorstehenden Spektakel abzuholen.
Das also ist mein Schicksal? Ich sterbe in einer längst vergangenen Zeit und ende als verkohltes Futter für die Vögel? Das ist nicht richtig, nicht würdig, nicht
… In ihrer Verzweiflung versuchte sie einen Hilferuf an die Dunkle Königin Bandorchu zu senden. Doch der Pflock steckte tief in ihrem Fleisch und hatte die Bahnen ihrer Kraft durchschlagen.
Sie kamen. Die Masse teilte sich, als der Tross der Obrigen herannahte. Der feiste Pfarrer an der Spitze, dahinter drei geschmückte hochrangige Amtsträger, gefolgt vom jenem Mann, der im Wald die Kommandos gegeben hatte. Vier Männer bildeten die Nachhut und trugen etwas Großes, Zottiges an langen Stangen über den Schultern. Lorec!
Er war tot. Sein Schädel zerschmettert, die sanften blauen Augen aus den Höhlen gerissen. Das Fell schimmerte bräunlich rot von seinem eigenen Blut. Wo lag der Sinn?
Anne hatte geglaubt, dieses Rätsel bereits gelöst zu haben, nachdem sie ihrem Freund so unverhofft begegnet war und sich an sein weiteres Schicksal erinnert hatte. Lorec war der Blutgräfin wie kaum ein anderer bis zu deren Tod und vielleicht auch darüber hinaus gefolgt. Er hätte gewusst, wo Báthorys Leiche begraben lag. Nur der endgültige Tod der Gräfin konnte in der Zukunft, aus der Anne gekommen war, verhindern, dass durch eine von einem machthungrigen Menschen erschaffene, untote Armee das Gleichgewicht der Welten kippte. Denn das hatte Saul Tanner offenbar vor.
Als der Pfaffe das Öl auf den Scheiterhaufen gießen ließ und anschließend mit gottgerechter Miene eine brennende Fackel zwischen die Äste schob, leerte Anne ihren Geist und schickte ein Bittgesuch um Aufnahme an den Grauen Herrn von Annuyn.
Sofort breitete sich das Feuer aus. Flammen züngelten empor, versengten ihre Füße und kletterten unerbittlich weiter. Ein letztes Mal atmete Anne ein und fühlte aus der Ferne, wie die glühende Luft ihr die Kehle verbrannte. Sie schmeckte den Rauch und …
… erwachte, hustend und um Atem ringend. Krähen, die sich während ihrer Bewusstlosigkeit um sie geschart hatten, stoben auseinander und zeichneten mit ihren Körpern Schattenmuster auf das vom Mond beleuchtete Friedhofsgelände.
Also waren die schrecklichen Erlebnisse nur die Folge des gespritzten Giftcocktails gewesen. Oder doch ein orakelhafter Hinweis? Anne hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. Die Lähmung ließ nach, sie konnte sich bewegen. Einzig ein schwacher Druck auf der Brust und das Gefühl bleierner Schwere in ihren Gliedern zeugten noch von dem feigen Anschlag, den Saul Tanner auf sie verübt hatte. Im Moment interessierte sie nicht, warum sie noch lebte. Sie wusste nur eines: Tanner würde büßen!
9 Auf der Pirsch
In den folgenden Tagen lernte Nadja, dass Gefangenschaft auch angenehme Seiten haben konnte. Da eine Flucht ins Niemandsland ohne Plan und Ziel sinnlos erschien, begann sie das Schloss zu erkunden. Ungestört spazierte sie durch die pompösen Parkanlagen. Von Silinia ließ sie sich mit köstlichsten Speisen sowie langen Bädern verwöhnen, und die vielen amüsanten Unterhaltungen mit der Dienerin lenkten sie von ihrem ungewissen Schicksal ab. Die junge Elfe folgte Nadja auf Schritt und Tritt und servierte ihr so lange Tee, erfrischende Säfte, Fladenbrot mit Honig und Ingwerplätzchen, bis selbst die sonst so gefräßige Journalistin keinen Bissen mehr hinunterbrachte. Silinia leistete ihr Gesellschaft, erklärte ihr das Leben in Jangala und gab ihr das Gefühl, eine Freundin in der Not gefunden zu haben.
Leider war sie nicht die Einzige, die die meiste Zeit nicht von ihrer Seite wich. Rabin Dranath Takur hatte ganz offenbar Gefallen an der Kuriosität
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