Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
gefunden und lauerte Nadja auf, wo immer sie hinging.
»Bewunderst du die Kraniche?«
Nadja hatte sich ausnahmsweise allein auf eine der höheren Terrassen des Palastbaus zurückgezogen, doch der Maharadscha schien ihre Bewegungen im Schloss verfolgen zu können, wann immer er wollte. Genervt seufzte sie auf, strich sich eine im leichten Wind tanzende Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte bemüht. »Es sind wundervolle Tiere. Sie strahlen eine besondere Gelassenheit und Eleganz aus, finde ich.«
»Sie sind Sinnbild für Fortpflanzung und Geburt.« Rabin Dranath Takur warf ihr einen vielsagenden Blick zu und grinste.
»Und sie sind monogam, wenn ich mich richtig erinnere.« Nadja starrte angespannt auf den künstlich angelegten See.
Gut zwanzig Tiere staksten mit ihren langen, dürren Beinchen durch das kniehohe Wasser. Sie reckten ihre schlanken Hälse und schielten mit ihren schwarzen Knopfaugen nach einer Wasserschnecke, einem Frosch oder Insekt. War eine Beute gefunden, stießen sie pfeilschnell mit ihrem geraden Schnabel zu. Mit ihrem Kopf tauchten sie hinab ins Wasser und präsentierten dabei die feuerrote Kopfplatte.
»Auch Kraniche wechseln von Zeit zu Zeit ihren Partner.« Der Maharadscha trat näher. »Wusstest du, dass die Elfenfrauen in unserem Land seit ewigen Zeiten den
Kranichtanz
aufführen, um den Mann ihrer Wahl zu umwerben? Ein Balzritual, das den Tieren abgeschaut ist. Siehst du die zwei Vögel dort drüben? Wie sie mit ausgebreiteten Flügeln umherspringen, mit ihren Vorzügen prahlen und dabei ihre Trompetenstimme erschallen lassen?«
»Und was für einen Tanz führen die Männer auf?«, fragte Nadja mit unverhohlener Abneigung. Es war klar, dass dieser Kerl sich an sie ranzumachen versuchte. Vielleicht aus Langeweile oder weil er bestätigt haben wollte, dass ihm alle Frauen zu Füßen lagen. Aber Nadja hatte keinesfalls vor, sich in seinen Harem einzusortieren.
Rabin Dranath Takur ließ seinen Blick lüstern über Nadjas Rundungen wandern, die aufgrund der Schwangerschaft deutlich angewachsene waren. »Ich zeige dir gern meinen Tanz, wenn du willst.«
Nadja machte einen ausweichenden Schritt.
Der würde doch tatsächlich eine fortgeschrittene Schwangere flachlegen, dieser lüsterne Bock!
»Ich dachte immer, der Kranich stehe für Weisheit und Glück«, versuchte sie sich zu retten.
»Für Glück beim Kinderkriegen«, sagte der Maharadscha, lachte auf und wurde unvermittelt ernst. »Deshalb halten wir sie hier am Hof. Noch scheint die Zeit nur nach unserem Land zu greifen und es langsam, aber stetig zugrunde zu richten.«
Nadja horchte auf. »Ihr meint, das Volk von Jangala habe die Unsterblichkeit nicht verloren? Aber wie soll das gehen?«
Der Herrscher blickte über die Terrasse und hinaus in den weiten blassblauen Himmel. »Mein Thron trägt nicht umsonst die Symbole des weißen Pfaus. Er wacht über uns, seit die Welt durch das Wirken der Götter aus den getrennten Kontinenten entstanden ist.«
»Ihr meint Jangala?«, fragte Nadja. Vieles, was sie am Hofe seit ihrer Ankunft gesehen hatte, erinnerte sie stark an die hinduistischen Lehren – Parallelen zu ihrer Welt. »Oder meint Ihr auch die Menschenwelt?«
»Die Trennung der Sphären geschah schleichend. Früher brauchte es keine aufwendigen Portale, um von einer in die andere zu wechseln. Elfen und Götter, Drachen und Dämonen existierten nicht nur in Mythen und Legenden.« Ein Hauch von Melancholie setzte sich im Blick von Rabin Dranath Takur fest und fraß seine Lüsternheit auf – zumindest für den Moment.
»Und dieser Pfau existiert und spendet Euch weiterhin Unsterblichkeit?«, fragte Nadja mit einem Funken Hoffnung.
Der Maharadscha wiegte den Kopf, blickte auf die Kraniche und signalisierte Nadja schließlich mit einer leichten Kopfbewegung, ihm zu folgen. Er führte sie an den Rand der Terrasse, fasste das Geländer und deutete mit der anderen Hand in einem weiten Bogen über sein Reich. »Einst war das Land eine einzige blühende Oase. Immerwährender Frühling herrschte in Jangala. Kirschblütenblätter wehten durch den Wald. Junge Knospen ruhten wohlbehütet in ihrer Wiege, um zur Morgenröte das erste Mal die Augen aufzuschlagen, sich zu entfalten und den Tag mit ihrem jungfräulichen Duft zu begrüßen.« Er stockte, und Nadja glaubte, Tränen in seinen Augenwinkeln glitzern zu sehen. »Aber sieh dir das Land heute an. Die Orchideen stehen wie eh und je auf dem Feld, doch das Gras um sie ist verwelkt.
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