Elfenzeit 11: Merlins Erwachen - Hartmann, C: Elfenzeit 11: Merlins Erwachen
Stunden nach der Botschaft, dass Gytha nicht ihre Mutter war.
Sie war damals erst spät eingeschlafen, zum Teil, weil die Verletzungen, die Rousel ihr zugefügt hatte, schmerzten, zum Teil aber auch, weil sich ihre Gedanken wie wild im Kreis drehten. Doch irgendwann war die Erschöpfung zu groß geworden, und Eleanor war in einen leichten Schlummer gesunken, der sofort von einem weiteren Traum durchkreuzt worden war.
Wieder war sie an der Quelle im Wald gewesen, doch diesmal hatte sich der Mann mit den violetten Augen nicht blicken lassen. Dafür war eine weiße Frau aus dem Unterholz getreten. Ihr langes Haar hatte ihr glatt und schneeweiß rechts und links des Gesichts heruntergehangen, und ihr ebenfalls weißes Gewand war von großer Schlichtheit gewesen. Dennoch hatte Eleanor sofort begriffen, dass die Göttin selbst vor ihr stand.
Du musst Le Mont verlassen
, hatte Boann gesagt – mit einer Stimme, die klang wie das ferne Läuten von Glocken.
Mach dich auf die Suche nach Herzog Wilhelm. In seiner Nähe wirst du jenen finden, nach dem du dich verzehrst
.
Eleanor hatte den Blick gesenkt, weil sie es nicht wagte, der Göttin ins Gesicht zu schauen. »Meint Ihr den Mann mit den violetten Augen?«
Die Göttin hatte leise gelacht.
Ich meine jenen, nach dem du dich verzehrst
, hatte sie wiederholt und Eleanor damit keinen Deut schlauer gemacht. Ihre Gestalt war verblasst, und obwohl Eleanor die Hände nach ihr ausgestreckt und sie angefleht hatte, ihr mehr zu sagen, hatte sie nur noch diesen einen letzten Satz gehört, den sie seitdem im Herzen trug:
Suche Herzog Wilhelm der Normandie!
Im nächsten Moment war die Göttin fort gewesen, und Eleanor hatte sich in ihrem Bett wiedergefunden, schweißgebadet und mit dem Kater Odo zu ihren Füßen, der sie unverwandt angestarrt hatte. Noch am selben Tag hatte sie Gytha verlassen und mit ihr die Hütte, die fast siebzehn Jahre ihr Zuhause gewesen war. Sie hatte sich nicht einmal danach umgewandt.
Auch wenn die Göttin ihr in der Zeit danach nicht verriet, warum sie sie auf die Suche nach Herzog Wilhelm schickte, so schien sie doch ihre schützende Hand über Eleanors Reise zu halten. Denn kaum dass sie den Mont-Saint-Michel verlassen und sich auf den Weg nach Süden gemacht hatte, lief ihr Bruder Joscelin über den Weg und bot ihr an, sie zu begleiten. Zwar war er erstaunt, als sie ihm eröffnete, zu wem sie gehen wollte, aber er stellte nur wenige Fragen. All die vielen Tage, die sie durch das Land reisten – Tage, an denen sie an die verschiedensten Orte kamen, nur um festzustellen, dass der Herzog dort gewesen, aber längst weitergereist war –, hatte Joscelin Eleanor begleitet. Er hatte sie vor wilden Tieren beschützt und ihr die langen Nächte mit seinem schier unendlichen Wissen verkürzt, das er bereitwillig mit ihr teilte.
Weit waren sie gekommen, bis zum Ufer des Couesnon, wo Joscelin nun neben ihr stand und lachte. »Soldaten!«, rief er amüsiert aus. »Sie können sich manchmal hübsch tollpatschig anstellen.« Er wies nach vorne zu dem Heer, wo inzwischen die ersten Soldaten mit ihren nackten Beinen den Fluss zur Hälfte durchquert hatten.
Offenbar erwies sich das Wasser als tiefer, als sie vermutet hatten, denn es reichte den Ersten bereits bis über die Hüften. Alles Hochkrempeln ihrer Beinkleider, alle Vorsicht war überflüssig gewesen – in spätestens einer halben Stunde würden sie allesamt nass wie die Katzen sein.
Es dauerte eine ganze Weile, bis die Vorhut es geschafft hatte, einen einigermaßen begehbaren Weg durch den Fluss zu finden. Keuchend und prustend kamen sie auf der anderen Flussseite an, berieten sich kurz und begannen, dem Rest des Heeres Anweisungen zuzuschreien, wohin sie sich am besten wenden sollten.
Herzog Wilhelm machte den Anfang, und lenkte sein Pferd in die Fluten. Schritt um Schritt, geleitet von den Ratschlägen seiner Männer auf der anderen Flussseite, bahnte er sich seinen Weg durch das Wasser. Ein kurzes Stück musste sein Pferd schwimmen und wäre unter dem Gewicht von Wilhelms Rüstung beinahe untergegangen. Gerade noch rechtzeitig bekam es wieder festen Boden unter die Hufe, kletterte rasch das leicht ansteigende Ufer hinauf und kam unbeschadet auf der anderen Seite an.
Eleanor sah Wilhelm winken und hörte ihn ein paar Befehle brüllen. Mit einem Geräusch, das wie das Stöhnen eines riesigen Tieres klang, setzte sich nun der Rest des Zuges in Bewegung.
Joscelin zog die Nase kraus. »Er wird nicht die
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