Elfenzeit 11: Merlins Erwachen - Hartmann, C: Elfenzeit 11: Merlins Erwachen
er.
Als sie nickte, setzte er sich an ihrer Seite nieder und nahm den Anfang ihres Tuches in die Hand. Eine bunte Szene war darauf gestickt, ein Mann auf einer Art Thron, der eine Krone trug.
Zwei andere Männer, beide in kurzen Waffenröcken, redeten auf den Thronenden ein. David ließ das Tuch durch die Finger gleiten. Ein leichtes Kribbeln hatte sein Rückgrat erfasst, und er fuhr beinahe ehrfürchtig über die zweite Szene auf dem Tuch. Sie zeigte mehrere Reiter. Der vorderste trug einen Falken auf der Hand, und die Pferde waren bunt ausgestickt, gelb und rot und dunkelblau.
David hob den Kopf. »Woher habt Ihr diese Szenen?«, fragte er atemlos. Längst hatte er begriffen, was er da in Händen hielt.
Margaret deutete auf Sebastian, der noch immer friedlich dalag und schnarchte. »Er sieht sie. Und er beschreibt sie mir.« Sie lächelte, und es sah im Licht des Feuers ein bisschen wehmütig aus. »Ich kann nicht schreiben, aber ich kann mit meiner Nadel Geschichten erzählen.« Sie strich über das Tuch.
»Kennt … kennt Ihr die Geschichte, die Ihr da erzählt?« David musste sich räuspern, um die Frage stellen zu können.
Margaret wies auf den Mann auf dem Thron. »König Edward«, murmelte sie. »Jedenfalls hat Sebastian mir das gesagt. Die beiden Männer sind Boten, die im Auftrag des Königs Herzog Wilhelm die Nachricht überbringen sollen, dass er König von England werden wird.«
David musterte sie, als sie das sagte, fand aber keinen Anflug von Ehrfurcht.
Margaret wies auf die Reiter. »Harold, das ist der Mann mit dem Falken, ist einer dieser Boten. Er bricht auf, um den Auftrag des Königs zu erfüllen.«
Fassungslos schnappte David nach Luft. »Diese Dinge …«, begann er, wurde aber unterbrochen.
»… liegen allesamt in der Zukunft.« Sebastian war erwacht und hatte sich aufgesetzt. »Wir wissen das. Warum verwundert es Euch so, David? Wir haben Euch erzählt, dass ich Dinge sehen kann, die andere nicht sehen.«
»Die Zukunft!« David schüttelte fassungslos den Kopf. In der Elfenwelt war es strengstens verboten, die Zukunft anzusehen. Und unter den Menschen lief einfach ein Mann herum, der das völlig selbstverständlich tat! David lachte auf.
»Was hast du?«, fragte Rian verschlafen. Sein lautes Lachen hatte sie aufgeweckt.
»Ich stelle gerade fest, dass es in dieser Welt weitaus mehr magische Kräfte gibt, als ich mir jemals habe träumen lassen«, gab er zur Antwort, stand auf und lächelte Margaret zu. Erst danach ließ er das Tuch mit der Stickerei los.
»Ich muss kurz mit dir sprechen«, flüsterte er Rian zu, nachdem er an ihre Seite getreten war.
Sie schaute fragend, aber er zog sie kurzerhand auf die Füße und schob sie ein Stück von dem Lagerplatz weg, sodass sie ungestört reden konnten. Er war sich der Blicke von Sebastian und Margaret sehr bewusst, als er sich zu seiner Schwester beugte und ihr zuflüsterte: »Weißt du, was das ist, das Margaret da stickt?«
Rian schüttelte den Kopf.
David musste einmal schlucken. Das Wissen, das Viviane ihm über diese Zeit gegeben hatte, rotierte in seinem Kopf. Und gleichzeitig erinnerte er sich an eine Unterhaltung, die er damals in Paris mit Robert geführt hatte, während sie auf der Suche nach dem Quell der Unsterblichkeit gewesen waren. Irgendwie waren sie dabei auf Kunstwerke gekommen, die ihre ganz eigene Unsterblichkeit hatten, und Robert hatte mit glänzenden Augen von einem ganz besonderen Stück der französischen historischen Kultur gesprochen und David ein Bild in einem Katalog gezeigt. David, der wie alle Elfen einen Sinn für Kunst und Schönheit hatte, war sehr angetan davon gewesen … und nun wohnte er dessen Entstehung bei!
»Dieses Tuch«, krächzte er, und noch immer hatte er eine Gänsehaut, »ist der Anfang des berühmtesten Kunstwerkes aus dem elften Jahrhundert. Margaret stickt den Teppich von Bayeux, Rian!«
Diese ungeheuerliche Erkenntnis führte dazu, dass David viel zu aufgewühlt war, um in dieser Nacht Schlaf zu finden. Nachdem Margaret ihre Stickarbeit – ihre historische Stickarbeit – zur Seite und sich schlafen gelegt hatte, taten es ihr Sebastian und Rian gleich. Der Engländer war nach wenigen Augenblicken eingeschlafen, und auch Rian schien keine Mühe damit zu haben. David jedoch verbrachte den Rest der Nacht damit, die Sterne anzustarren.
Kurz vor Sonnenaufgang wurde er aufmerksam, als Sebastian sich erhob und davonschlich.
Neugierig, was er vorhatte, folgte David ihm, doch seine
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