Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
durchdrang sie, stärkte sie.
»Ein reifer Mann«, fuhr die Königin in ihrer Begutachtung fort. »Melodramatisch im Geschmack, beherrscht von Selbstmitleid und Ängsten. So oder ähnlich würde Gofannon schmecken, wenn er denn ein Mensch wäre.« Etwas Neues kitzelte ihre Wahrnehmung. »Ein altes, geplagtes Mütterchen mit lange verdrängten Erinnerungen. Da ist Kriegsleid. Eine Vergewaltigung. Zwangsarbeit. Ein Mann, der sie schlug und missbrauchte. Die Erinnerungen an ein Kind, das vor seiner Zeit starb, und an ein anderes, das sich von ihr abwandte.« Die Mischung war interessant.
Bandorchu nahm einen tiefen Atemzug. Kleinste Seelenteile vaporisierten und machten sich in ihr breit. In einem Raum, den es eigentlich gar nicht geben durfte. Mit zunehmendem körperlichem Wohlbefinden kehrten lange verloren geglaubte Kräfte zurück. Ihr Willensvermögen steigerte sich, Euphorie füllte sie aus. Die Königin stieg in ihrer Vorstellung eine breite Empore hinauf. Chöre sangen, gemeines Volk jubelte ihr zu. Der Weg hinauf zum letzten Absatz dieser Treppe wurde von einer sexuellen Energie begleitet, die ihren Körper vibrieren ließ.
Mit einem tiefen Atemzug nahm sie den großen Rest der Seelensubstanz in sich auf. Sie erreichte die breite Balustrade am Ende der Treppe, drehte sich in alle Richtungen und grüßte ihr Volk. Milliarden und Abermilliarden von Angehörigen aller Welten hatten sich unter ihr versammelt. Sie jubelten Bandorchu zu, feierten sie als unumschränkte Herrscherin. Der Augenblick ihres Triumphs war gekommen; sie hatte gesiegt. Die Wirkung der gestohlenen Seelensubstanz raubte der Königin schier den Verstand, versetzte sie in einen Rausch ungeahnter Hochgefühle. Die Bilder, an denen sie sich berauschte, waren absolut lebensecht. Irgendwann, so fühlte sie, würde dieser Augenblick wahr werden.
Sie verharrte auf dem Gipfel des Triumphs, solange es ging. Zitternd, bebend kostete sie diese Momente mit den letzten Fasern ihres Bewusstseins aus. So lange, bis es zu schmerzen begann und sie zurückstürzte in das Elend ihres derzeitigen Daseins.
Die Wandlung, die sie so sehr fürchtete und die nach jeder Seelenverkostung eintrat, geschah auch diesmal.
Bandorchus dunkles Ich trat in den Hintergrund, und die »alte« Gwynbaen kehrte zurück.
»Was habe ich getan!«, flüsterte die Königin. Sie weinte glitzernde Tränen. Sie tropften hinab auf die Kissen ihres unfassbar widerlichen Ruhebetts. Rings um Gwynbaen befanden sich Hässlichkeit und Schlechtigkeit. Da war nichts, aus dem auch nur ein Fünkchen Gutes zu gewinnen gewesen wäre.
Die Schuld, welche die Königin auf sich geladen hatte, legte sich wie ein tonnenschweres Gewicht auf ihre Schultern. Wie hatte es nur dazu kommen können?
Sie erinnerte sich:
All ihre Pläne waren einmal von Hoffnung und Zuversicht getragen gewesen. Ihre Untertanen sollten in Frieden und Einigkeit leben. Sie wollte ihnen Mutter, Freundin und Ratgeberin zugleich sein. Gwynbaen war Güte. Liebe. Hingabe.
Irgendwann, still und leise, machte sich eine dunkle Seite in ihren Gedanken breit. Sie flüsterte ihr Dinge zu, immer wieder, immer öfter, bis sie irgendwann so breit und groß ausgewachsen waren, dass sie ihr Tun bestimmten. Gwynbaen wurde dunkel. Gwynbaen wurde zu Bandorchu. Zuerst im Inneren, dann auch dem Namen nach.
Die Königin hustete; sie wollte die Seelen, die sie verschluckt hatte, hochwürgen. Leben war unter fürchterlichen Umständen genommen worden, um ihr böses Alter Ego mit Kraft zu versorgen.
Sie stand auf, eilte von einer Ecke zur anderen. Überall fand sie Abweisung und offenen Hass. Manche der Wächter ihres Zimmers knurrten sie an. Sie spürten, dass Bandorchu den Raum verlassen hatte.
Wenn sie doch etwas unternehmen konnte; ein Zeichen setzen, ihr jetziges Ich für längere Zeit bewahren! Doch Bandorchu machte sich bereits bemerkbar. Sie kämpfte um die Vorherrschaft im gemeinsamen Denken, strampelte sich nach dem übergroßen Schock der Seelenverdauung wieder hoch, um Gwynbaen abermals zu unterdrücken.
Vage Erinnerungen an frühere Versuche, sich gegen Bandorchu zu stellen, kamen ihr hoch. Stets hatte sie diese Auseinandersetzungen verloren. Das Böse hatte sich in allen Winkeln ihres Bewusstseins eingenistet. Nur zu bald würde es wieder vorbei sein mit Gwynbaen. Dann musste sie auf die nächste ... Nahrungsaufnahme warten, um für kurze Zeit zu sich selbst zurückzufinden.
Nein! Kampflos würde sie sich diesmal nicht geschlagen
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