Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
abgibst ... Ach ja: Deine Silberlöffel hätte ich auch gerne.«
»Sei still!« Grog packte den Kleinen am Schlafittchen und setzte ihn neben sich ab. »Jetzt ist keine Zeit für Unsinn.«
Er spürte Pirx’ Angst – und auch seine Erleichterung darüber, dass er noch gesund und munter war. Die Erlebnisse in der Menschenwelt hatten sie zusammengeschweißt. Auch wenn Grog es nur ungern zugab, mochte er den Kleinen. Trotz dessen Flausen, trotz dessen Neigung, seinen Kopf so wenig wie möglich anzustrengen. Dabei steckte so viel Gutes und Wichtiges in Pirx – es bedurfte bloß eines besonderen Anlasses, um es aus ihm hervorzulocken.
»Ich habe gefunden, wonach wir suchten«, sagte Grog. »Dünne Kraftlinien, die an Stärke gewinnen. Manche von ihnen fließen bedeutend ruhiger als andere. Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sie Endpunkte gefunden haben. Und es gibt weitere Knoten, die der Getreue besetzt hat.« Düster fügte er hinzu: »Sie werden die Macht der Königin weiter verstärken.«
»Das ist nicht gut, nicht wahr? Das ist gar nicht gut ...«
»Nein.«
»Und was bedeutet das für uns? Dass wir uns nun doch in einem schnuckeligen Erdloch verkriechen und abwarten, bis die diversen Weltuntergänge vorüber sind? Ich könnte uns die Zeit verkürzen, indem ich dir was vorsinge. Mein Repertoire reicht sicherlich für ein-oder zweitausend Jahre, und dann fange ich wieder von vorne an.«
Grog fasste zu, erwischte Pirx bei der spitzen Nase und zog ihn zu sich hoch. »Hör zu: Wir haben einen Auftrag, den wir erfüllen werden. Die Zwillinge, Nadja und Fabio verlassen sich auf uns.
Vor allem
Fabio. Er kennt die Anders- und Menschenwelt, und er versteht beide Seiten. Wenn jemand es schafft, einen Sinn hinter all den Vorgängen zu finden, die uns altern lassen und für Bandorchus Befreiung sorgen, dann ist
er
es. Wir werden nicht davonlaufen. Wir erfüllen unseren Auftrag. Wir stehen zu unseren Freunden.«
»Also keine rote Grütze heute Abend?«, fragte Pirx kleinlaut.
»Du sagst es.« Grog setzte ihn wieder auf dem Boden ab. »Denn jetzt ist deine Spürnase gefragt, um die Kraftlinie weiterzuverfolgen, die ich gefunden habe. Ich weiß zwar nicht, warum, aber deine Instinkte sind in dieser Beziehung besser ausgeprägt als meine. Mich interessiert eine ganz besondere offene Linie. Ich beschreibe dir, wie sie sich anfühlt, und du sagst mir, wohin ihre Spur führt. Wir werden sie verfolgen, denn sie scheint kurz davor zu sein, sich zur vollen Stärke zu entfalten. Alles klar?«
»Alles klar«, wiederholte Pirx überraschend einsilbig. Er wirkte nun aufmerksam und konzentriert.
»Also, pass gut auf: Die Linie befindet sich hier, genau unter unseren Beinen. Ihre Energie riecht ein wenig nach Akatzen-Kraut, vermischt mit Patschuli-Butter, und man könnte meinen, dass sie ein Kitzeln verursacht, das zwischen Fleisch und Zehenkrallen ins Innere des Körpers kriecht ...«
6 RÜchhenhr in die Anderswelt
Nadja ließ den Eiswürfel im Glas mit dem Tomatensaft kreisen und schwieg. Fabio beobachtete seine Tochter, registrierte ihre Reaktionen. Ihre Betroffenheit. Ihren Unglauben darüber, was er erzählte. Dass er bereits vor mehr als 2000 Jahren an Erlebnissen beteiligt gewesen war, die Eingang in die Geschichtsbücher der Menschen gefunden hatten.
Selbstverständlich bestanden ... Unschärfen zwischen seinen Erzählungen und der offiziellen Geschichtsschreibung. Es gab keine verlässlichen keltischen Quellen. Die Kelten hatten sich – nicht nur aus religiösen Gründen – gegen die Weitergabe ihres Wissens auf irgendeine andere Weise als die mündliche verwahrt. So existierten lediglich die Berichte römischer Geschichtsschreiber, die in ihren Schilderungen nicht immer objektiv geblieben waren. Mitunter zählten Ausgrabungsstätten, wie zum Beispiel jene in Numantia, zu den wichtigsten Informationsquellen der Historiker. Durch winzigste Hinweise erhoffte man mehr über das Zusammenwachsen der Kelten und Iberer zu einem Volk zu erfahren.
Fabio hatte die Berichte der spanischen Archäologen aufmerksam verfolgt. Mehr als einmal war er versucht gewesen, ihnen öffentlich zu widersprechen. Doch er hatte gelernt, sich zurückzuhalten. Immerhin besaß er nicht nur Freunde auf der Erde. Er tat gut daran, seine Identität geheim zu halten.
»Was ist mit Pieva geschehen?«, fragte Nadja leise. »Hat er die Schlacht in Cituvia überlebt?«
»Nein.« Fabio hatte heute noch Schuldgefühle, wenn er an das Schicksal
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