Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
kraftlos nach vorne. Mit einem Mal wirkte er so alt, wie er tatsächlich war. »Also schön«, sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. »Gewisse Dinge scheinen vorherbestimmt zu sein, und ich will, dass meine Kinder ihr Glück finden.« Er hob den Kopf und sah mich prüfend an. »Ich gebe dir Julia zur Frau – wenn du bereit bist, eine Frist von einem Jahr abzuwarten. Du darfst sie während dieser Zeit innerhalb der Mauern meines Hauses besuchen. Wenn sich bis zum nächsten Herbst zwischen euch nichts ändert, erlaube ich, dass sie mit dir zieht. Ich erwarte, dass du in der Zwischenzeit ein
domicilium
errichtest, das ihrem Rang und Namen entspricht. Und du schwörst mir bei den Göttern, für mein Kind zu sorgen und es zu beschützen! Bist du bereit, diese Forderungen zu erfüllen?«
»Das bin ich«, antwortete ich. Unendliche Freude ergriff mich. Eine Liebe, die Jahrhunderte überdauert hatte, würde endlich Erfüllung finden.
Die Zeit verging wie im Flug. An der Seite dieses wunderbaren Geschöpfes verlor sie jegliche Bedeutung. Julia und ich fanden zueinander, als wären wir zwei Seiten einer Medaille, als hätten sich die Welten nicht weitergedreht, nachdem ich meine Estella einst verloren hatte.
»Ich kenne dich«, flüsterte sie. Mit ihren langgliedrigen Fingern zog sie meine Lippen nach. »Ich habe dich immer gekannt. Du warst in meinen Träumen, solange ich mich zurückerinnern kann.«
»Wir kannten uns«, verbesserte ich. »Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Du liebtest mich damals schon, noch bevor ich wusste, was Liebe war.«
»Du bist wie ein Teil von mir. Einer, den ich mein Leben lang vermisst habe. Nur mit dir bin ich vollständig.« Sie sah mich an. Mit diesem schrecklichen, tief dringenden Blick, dem nichts verborgen blieb. »Da sind Erinnerungen, die ich nicht haben dürfte. Gedanken, die mich zittern lassen. Von Feuer, von Gewalt und Tod – und von einigen wenigen Momenten des Glücks.«
»Was du meinst, erlebt zu haben, geschah mit deiner Seele. Du bist ein ganz besonderes Geschöpf. Wir beide sind füreinander bestimmt. Nichts konnte uns trennen. Nicht einmal die Todesgötter ... «
Schelmisch lächelte sie mich an. Mir war, als wäre die Nacht gerade erst angebrochen, und doch wurde es immer später. Als mich Gaius Albus schließlich aus seinem Haus verabschiedete, wussten wir, dass diese Liebe niemals enden würde. Die väterlichen Sorgen des Römers waren unberechtigt.
An jedem zweiten Abend besuchte ich Julia, die Tage über arbeitete ich. Das Fundament einer Stadt wuchs aus dem Wasser der Lagune. Kleinere Inseln wurden siedlungsfertig gemacht; weitere Plattformen, die auf Zehntausenden Holzstämmen ruhten, trieben wie riesige Blätter an der Oberfläche.
Elfen und Menschen profitierten von jenem Glücksgefühl, das ich in mir trug. Alles ging mir leicht von der Hand, Probleme waren wie belanglose Nadelstiche. Jeden Morgen erwachte ich mit neuen Kräften.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich Barchoil.
»Ja«, gab der Elf einsilbig zur Antwort.
»Wie geht es Sicilla?«
»Gut geht’s ihr«, antwortete er lächelnd und versuchte vergeblich, ein Gähnen zu unterdrücken. »Die Frau kostet mich unglaublich viel Schlaf. Aber das ist es wert, Fiomha. Das ist es wert.«
»Sieh bitte zu, dass du sie nicht enttäuschst. Ihr Vater ahnt, was Sicilla nächtens treibt, aber er ignoriert es. Wenn du sie verärgerst oder Unglück über sie bringst, färbt dies auch auf Julia und mich ab.«
»Mach dir keine Sorgen.« Barchoil nickte mir zu, wandte sich ab und bestieg eines jener schlanken Boote, die uns Gaius Albus zu bauen geraten hatte. Sie lagen gut im ruhigen Wasser der Lagune, und sie halfen uns, die schmalen Wege zwischen den Inseln und Plattformen zu befahren.
Ich nahm heute eines jener vergleichsweise plumpen Schiffe, die für den Warentransport dienten. Schier endlose Mengen an Eichen-, Ulmen- und Lärchenholz wurden aus den waldreichen Ländern östlich der Adriatischen See zum provisorischen Hafen an einer der Lagunenmündungen angeliefert. Weitere Transporte gelangten über den mühsamen Landweg zu uns.
Unsere Anwesenheit konnte längst nicht mehr verheimlicht werden. Die Zeit des Versteckspielens war vorbei. Wir sicherten das Gelände großräumig ab. Patrouillen mit Stärken von bis zu fünfzig Mann streiften durch die Sumpf- und Marschlandschaften, und Kundschafter horchten ins Land hinein.
Natürlich erweckten wir die Begehrlichkeiten herumstreifender
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