Elidar (German Edition)
seltsam hartnäckig dagegen, von ihren Augen erfasst zu werden. Sie zwang einige Worte, sich ihr zu ergeben. »Drachenlicht«, las sie. »Schwinden und Erstarken der magischen Kräfte«. Dann musste sie das Büchlein sinken lassen und rieb sich ermattet über die brennenden Augen. Was war das nur für ein Buch?
Ein leichter Modergeruch wehte sie an und sie rümpfte die Nase. Dies mochte das beste Zimmer des Roten Stiers sein, aber es roch hier dennoch nicht sehr reinlich.
Elidar legte das Buch widerstrebend auf den Tisch und rieb sich erneut die Augen. Sie war müde bis auf die Knochen, aber wusste mit vollkommener Klarheit, dass sie auch in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde. Also konnte sie genauso gut ein wenig herumlaufen, statt hier im Zimmer zu sitzen und modrige Luft zu atmen.
Sie schob den Schemel zurück und griff nach ihrem Mantel. Der Spinnenring blinkte an ihrer Hand, als ein Strahl Mondlicht ihn traf, und sie verharrte einen Augenblick, um ihn zu betrachten und an Bär zu denken. Wie mochte es sein, gefesselt im Rigor zu liegen? War er sich dessen bewusst, oder hörten auch die Gedanken auf, wenn der Zauberbann vollendet wurde? Er verdiente seine Strafe, aber dennoch wünschte sie ihm, dass er nicht litt.
Sie verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter, ohne sich allzu sehr um Geräuschlosigkeit zu bemühen. Vom Gastraum lärmte der schrille Klang einer Fiedel, Gesang und trunkenes Gegröle durch das Haus, und auch draußen auf der Straße war es alles andere als still. Das hatte sie nicht gestört, als sie noch im Stall geschlafen hatte, aber inzwischen war sie die Stille des Ordenshauses gewöhnt.
Sie lief ziellos durch die Gassen des Viertels, in denen trüber Fackelschein und das Zwielicht einer mondhellen Nacht seltsame Bewegungen und verzerrte Schatten auf Boden und Wände malten. Das Mondlicht weckte eine Sehnsucht in ihr, die sie nicht erklären konnte, und die sie ruhelos und gereizt machte.
Irgendwann kehrte sie in eine Schänke ein, aus der es nicht gar so laut herausschallte, weil nur einige wenige schweigsame Zecher und eine Handvoll schlafender Betrunkener im Raum hockten. Sie zog sich mit einem Becher Bier in eine Ecke zurück und legte die Beine auf einen Schemel. Das trübe Bier war dünn und sauer, und sie stellte den Becher nach einem Schluck angewidert beiseite.
Als sie in ihrer Tasche nach einem Tüchlein suchte, um sich die Finger abzuwischen, sprang ihr etwas in die Hand und drängte sich gegen ihre Finger wie ein eifriger kleiner Hund, der darum bettelt, gestreichelt zu werden.
Erstaunt zog sie es ans Licht und erblickte das modrige alte Buch, das Sturm ihr mitgegeben hatte.
Kopfschüttelnd hob sie es an die Augen und öffnete es. Wenn es so danach drängte, von ihr beachtet zu werden, würde es vielleicht jetzt etwas von seinem Inhalt preisgeben.
Aber wie schon zuvor starrte sie verständnislos auf das wirre Gekrakel und die tanzenden Schriftzeichen, die wie hinter einer Nebelwand über die braunfleckigen und zerfallenden Seiten hüpften.
»Das ist der Tag der seltsamen Bücher«, sagte sie laut.
Der Zecher, der am Nebentisch hockte, hob den Kopf und stierte sie mit blutunterlaufenen Augen an. »Hä?«, machte er. »Was wills' du von mir, Kerl?«
»Nichts, werter Herr«, erwiderte Elidar und erhob sich, um zu gehen. Sie schob sich an dem Burschen vorbei. Der packte ihren Mantel und hielt sie fest, wobei er sich schwankend erhob. »Was wills' du? Hä? Sag? Was wills' du?« Ein paar Tröpfchen Speichel landeten auf ihrer Brust. Elidar griff nach seiner Hand und pflückte sie spitzfingrig von ihrem Mantel.
»Nichts, habe ich gesagt«, erwiderte sie scharf. »Trink weiter, Mann, und belästige mich nicht!«
Der Betrunkene holte mit einem wortlosen Knurren zum Schlag aus. Elidar hob die Hand und zischte einen Bann, der ihn für einen kurzen Augenblick erstarren lassen sollte, damit sie sich in Ruhe entfernen konnte.
Der Bann traf ihn mit einer ungewohnt grellen Lichterscheinung und ließ seine Glieder erstarren. Elidar wollte sich abwenden, aber es gelang ihr nicht. Etwas regte sich tief in ihrem Inneren und ließ ein Schnurren hören wie eine riesige Katze. »Hrrrmmmm. Was ist das für ein feiner Bissen?«, hörte sie sich laut sagen.
Hinter ihr verließen ein paar der wacheren Gäste fluchtartig den Schankraum. »Ein verfluchter Magus«, hörte sie einen von ihnen rufen.
»Lauft!«, brüllte ein anderer, der den kürzeren Weg durch das offen stehende
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