Elidar (German Edition)
Entfernung hatten ihr Auge getäuscht, sie hatte das Palatium für ein flaches, langgestrecktes Haus gehalten. Im Herankommen schien es förmlich aus dem Boden zu wachsen, bis sie schließlich den Kopf in den Nacken legen musste, um an der Fassade emporzusehen.
»Donner und Blitz«, murmelte sie. »Das ist doch ein wenig größer als der Serail der Scha’Yassim.«
In ihrer Tasche knisterte das Empfehlungsschreiben für die Dame, die hier den Haushalt führte. Elidar nagte unschlüssig an ihrer Unterlippe. Möglicherweise war das hier ein besserer Ort, um Magiern zu begegnen. In Gantars Gasthof verkehrten sie jedenfalls nicht.
Kurzentschlossen blickte sie sich nach der Tür um.
Es war ihr recht leicht gefallen, in den Serail einzudringen, um Luca zu besuchen. Aber das hier war etwas anderes, denn schon näherte sich mit energischen Schritten ein weiterer Soldat. Allem Anschein nach hatte man hier Angst vor Attentätern oder Aufruhr. Wobei ihr das etwas übertrieben schien, da sie doch allein schwerlich als Bedrohung angesehen werden konnte.
Elidar zog es also vor, einer erneuten Begegnung mit der Ordnungsmacht vorerst aus dem Weg zu gehen, und setzte sich gemächlich in Bewegung. Eingänge, die auch Menschen vom unteren Ende der Gesellschaft offen standen, befanden sich bei solchen Gebäuden in der Regel irgendwo hinten - dort, wo die Fassade nicht mehr ganz so prächtig und auch die Bewachung deutlich nachlässiger war.
Elidar begann den Palast zu umrunden. Zuerst hatte es sie erstaunt, dass keine hohe Mauer oder andere Umzäunung dafür sorgte, dass all die offenbar unerwünschten Leute in sicherem Abstand zum Palatium gehalten wurden, aber nach wenigen Längen wurde ihr klar, dass so etwas hier in Ledon anders geregelt wurde. Alle paar Schritte stand ein Soldat und sah sie drohend an. Sie ging zügig weiter und musterte dabei den Prachtbau.
Diese Seite des Palastes war kürzer als die Vorderfront. Elidar kam an die zweite Hausecke und dort endete die weiße Mauer an einem Tor. Es war ein großes, zweiflügliges Tor aus dunklem Holz mit schweren Beschlägen und einer kleineren Tür mit einem Fensterchen, das vergittert und verschlossen war, mittendrin. Sie schöpfte Hoffnung. Dort musste jemand sein, der sich ihr Anliegen anhören würde. Zumal sich neben dem Türchen auch ein Seilzug für eine Klingel befand.
Elidar zog also beherzt an dem Seil. In der Ferne glaubte sie eine Glocke scheppern zu hören. Dann passierte eine ganze Weile lang überhaupt nichts. So lange, dass Elidar sich schon abwenden und ihren Weg fortsetzen wollte.
Da flog die Fensterklappe auf und ein Paar wässrig-blauer Augen musterte sie durch das Gitter. »Ja?«
»Ich möchte zu Domna Antela«, sagte Elidar.
Der Blauäugige zwinkerte verdutzt und begann zu lachen. »Ha, ja«, sagte er. »Natürlich. Zu Domna Antela, einfach so, junger Herr. Hast du einen Termin?«
»Einen Termin? Nein.« Elidar kramte den zerknitterten Brief hervor. »Aber ich habe eine Empfehlung.« Sie hielt den Brief so vor das Fenster, dass der Mann ihn sehen konnte.
»Hm«, sagte der Mann. »Damit kann ja jeder kommen.« Er schnüffelte. »Gut, gib mir den Brief.« Er wandte sich schon ab. »Schieb ihn einfach durch.«
Elidar zögerte. »Wenn ich ihn dir gebe …«, sagte sie, »wer garantiert mir dann, dass du ihn auch ablieferst? Bei Domna Antela?«
»Werd mal nicht unverschämt«, sagte der Mann. »Wofür hältst du mich?«
»Ich weiß ja nicht mal deinen Namen«, erwiderte Elidar.
»Gib ihn mir oder lass es bleiben«, erwiderte der Mann. »Mir ist es gleich. Ich habe ohnehin keine Lust, mir einen Anpfiff der Domna einzuhandeln, weil ich sie mit einer Lappalie störe.«
Blaue und schwarze Augen starrten sich an. »Na gut«, sagte
Elidar schließlich. »Hier.« Sie schob den Brief durch das Gitter und sah ihm nach, wie er auf der anderen Seite verschwand. Die Klappe begann sich zu schließen.
»He!«, schrie Elidar. »Und was mache ich jetzt?«
»Warten«, erwiderte der Mann. »Am Besten kommst du morgen wieder.« Die Klappe fiel ganz zu.
»Mist«, sagte Elidar. Der Fluch kam von Herzen. Sie trat gegen die Tür, aber das half ihr auch nicht.
Mit dem sicheren Gefühl, ihr Empfehlungsschreiben zum letzten Mal gesehen zu haben, trat sie den Rückweg an. Die Ställe warteten sicher schon auf sie.
Ohne große Hoffnung stand Elidar am nächsten Tag wieder vor der kleinen Tür. Sie läutete und wartete. Gerade als sie ihren Mut schon sinken fühlte,
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