Elina Wiik - 03 - Der tote Winkel
um sie ging, nicht um den einen oder anderen ihrer konkreten Pläne. Insgeheim hoffte sie, dass auch sie für all diejenigen, die sie mochte, eine bedingungslose und loyale Unterstützung war.
»Weißt du was?«, sagte Nadia eifrig und setzte sich kerzengerade hin. »Ich will wieder die Schulbank drücken.«
Ehe Elina etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: »Ich weiß allerdings noch nicht, was genau ich lernen möchte. Aber ich habe von der Kellnerei genug. Schlecht bezahlt und fürchterliche Arbeitszeiten. Außerdem Männer, die ihre Hände nicht kontrollieren können.«
»Wunderbar«, sagte Elina und hoffte, dass das so begeistert klang, wie sie wünschte. »Ab wann denn?«
»Jetzt zum Frühjahr geht es vermutlich noch nicht. Aber vielleicht zum nächsten Herbst. Es muss endlich mal etwas aus mir werden. Wie wäre es mit Psychologin? Oder Krankenschwester, wenn das nicht geht. Glaubst du, dass ich mich dazu eigne?«
»Natürlich.«
»Polizistin kommt aber nicht in Frage. Alles hat seine Grenzen.«
21. KAPITEL
Bereits am frühen Freitagmorgen traf die Antwort von Interpol ein. Die Aufenthaltsorte des Paares Diederman und Gregors Nikolajew waren unbekannt. Seit Februar 2001 wurde via Interpol von der lettischen Polizei nach ihnen gefahndet, die Fahndung war jedoch ergebnislos geblieben.
Elina fragte sich, worin diese Fahndung wohl bestanden hatte. Wahrscheinlich waren sie ihre Datenbanken durchgegangen. Zum Suchen hatten sie wohl niemanden losgeschickt. Sie hatte schließlich auch keine Ahnung, wo man mit dem Suchen anfangen sollte. Es kam ihr vor, als wäre sie in eine Sackgasse geraten.
Es war der 28. November, und der grautrübe Morgen beflügelte sie nicht gerade. Stattdessen überließ sie ihren Fingern an der Tastatur ihres Computers das Denken. Sie massierte sie ein wenig, um sie geschmeidig zu machen, und starrte dann auf den Monitor, bis ihr Gehirn endlich in Gang kam.
Wenn sie den Spuren der Schleuser schon nicht folgen konnte, musste sie ihnen dafür auf andere Art auf die Schliche kommen. Irgendwo hatten sich die Wege der drei Schleuser mit den Opfern bestimmt gekreuzt. Sie musste die Spuren von Jamal, Annika oder Ahmed Qourir verfolgen. Weiter zurück und tiefer.
Wo war die Verbindung? Die Verbindung der verschiedenen Ereignisse? Jamal natürlich, er war die naheliegende Schnittstelle. Er war derjenige, der Sayed, das Schmuggelgut, entgegennehmen sollte. Aber … was bewies das im Hinblick auf die Morde? Nichts.
Es gelang ihr nicht, klare Gedanken zu fassen. Sie entglitten ihr, waren ebenso flüchtig wie Sayed. Sie erhob sich, ging in ihrem kleinen Büro auf und ab und massierte sich den Nacken. Dann hielt sie mitten im Schritt inne und stöhnte auf. Das lag ja auf der Hand!
Sie griff zu dem Karton mit den Ermittlungsakten und wog ihn in den Händen. Dem Gewicht nach etwa 3000 Seiten. Sie stellte den Karton vor sich auf den Schreibtisch hin.
Ein rascher Blick zur Tür. Besser abschließen. Dann hatte sie einige Sekunden Zeit, die Papiere wegzuräumen, falls es Jönsson einfallen sollte, bei ihr vorbeizuschauen.
Rasch blätterte sie in den umfangreichen Akten. Was sie suchte, kam fast ganz zuunterst. Sämtliche Angaben über Ahmed Qourir. Sie setzte sich wieder an ihren Computer.
Diedermans und Nikolajew waren als Schleuser in Ventspils tätig gewesen. Sayed war bei dem Versuch, nach Schweden einzureisen, in Ventspils verschwunden. Sayed war Jamals Cousin. Jamal hatte Ahmed Qourir angerufen. Wenn Qourir Kontakt zu den Diedermans oder zu Nikolajew gehabt hatte, dann schloss sich der Kreis. Qourir war die fehlende Verbindung.
Ihre Finger huschten über die Tasten. Sie musste die Spur Qourirs zurückverfolgen.
Sie begann unter einem neuen Gesichtspunkt zu lesen.
22. KAPITEL
Es war 1963 zur Welt gekommen und hatte als Geburtsort und Heimatort Tyr im südlichen Libanon angegeben. Die palästinensischen Eltern hatten sich seit der Katastrophe von Al-Nakba 1948 auf der Flucht befunden. Ursprünglich stammten sie aus Haifa. Laut einer späteren Zeugenaussage war Qourir allerdings in Damaskus in Syrien aufgewachsen und hatte dort gewohnt, ehe er sich 1991 auf den Weg nach Schweden gemacht hatte. Das entdeckte man 2001, und es wäre eigentlich ein Grund gewesen, ihn auszuweisen, wenn er nicht 1998 die schwedische Staatsbürgerschaft erhalten hätte.
Qourir hatte in verschiedenen Restaurants gejobbt. Er hatte keine Vorstrafen. Unverheiratet, von einer Freundin war nichts bekannt. Seine
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