Elixir
einmal, ob er alle nötigen Dokumente für seine Rolle als Larry Steczynski dabei hatte, und packte Kleidung in einen kleinen Seesack. Immer wenn er in meine Richtung sah, beschlich mich so eine Ahnung, dass er genau wusste, was ich gesehen und getan hatte. Es gefiel ihm nicht und er würde einen Weg finden, es mir heimzuzahlen.
Erst als wir das Haus verließen, hatte ich das Gefühl, wieder Luft zu bekommen. Ich hielt mich eng an Bens Seite, als wir zu dritt den kurzen, mondbeschienenen Weg zur Garage liefen. Auf keinen Fall wollte ich neben Sage sitzen. Ich sagte Ben, er könne vorne sitzen, und gab vor, noch immer ein wenig mit der Übelkeit zu kämpfen, damit ich nicht reden musste.
Waren Sage und ich über die Jahrhunderte hinweg immer und immer wiedergeboren worden, nur, um jedes Mal wieder zusammenzufinden? In gewisser Weise würde das Sinn ergeben– bis auf die Tatsache, dass ich meines Wissens vier verschiedene Frauen gewesen war, während er stets… Sage war. Was bedeutete das also? Dass er seit fünfhundert Jahren am Leben war?
Innerlich verdrehte ich die Augen über meine eigenen absurden Gedanken, bis mir klar wurde, dass alle anderen Optionen genauso verrückt waren. Da gab es die Incubus-Theorie– doch konnten Geister bluten? Ich kannte mich mit solchen Dingen nicht so gut aus wie Ben, aber ich vermutete, dass ein Geist per definitionem ein ziemlich blutleeres Wesen war. Ich hatte Sages Blut gesehen. Ich hatte ihn zum Bluten gebracht. Nicht, dass ihm das viel angehabt hätte, bei ihm verheilte ja alles so schnell.
In geringer Dosierung verfügt es über unglaubliche Heilkräfte. Bens Worte klangen mir in den Ohren. Das hatte er über das Elixir des Lebens gesagt.
Das Hirngespinst. Das absolut verrückte Elixir des Lebens.
Existierte es wirklich? Besaß Sage etwas davon? Genug, um ihn die letzten fünfhundert Jahre am Leben zu halten, jung und mit Superheilkräften?
Und wenn ja: Hatte er die Zeit genutzt, um immer wieder die eine Frau in verschiedenen Reinkarnationen ausfindig zu machen, um sie zu lieben… oder zu zerstören?
Wir hielten vor einer Drogerie in der Nähe des Flughafens an, wo Larry Steczynski mir ein Paar billige Schuhe kaufte und für Ben und mich Reisetaschen voller Dinge erwarb, die als Gepäck durchgehen konnten. One-way-Tickets nach New York zu kaufen und ohne Gepäck zu reisen, wäre definitiv zu auffällig.
Beim Einkaufen schob ich meinen Verdacht, so gut es ging, beiseite, damit ich mich wenigstens halbwegs normal verhalten konnte. Allerdings verlor ich schnell das Gefühl dafür, was überhaupt » normal« war. Am Flughafen angekommen, machte Mr Steczynski großzügig von seiner schwarzen American-Express-Karte Gebrauch und buchte drei Plätze erster Klasse für den nächsten Flug zum JFK -Airport.
Seit meiner Entdeckung hatte ich kaum mehr als zwei Worte mit ihm gewechselt und machte mir Sorgen, dass er mein verändertes Benehmen wahrnahm. Ich zermarterte mir das Hirn nach irgendeinem unverfänglichen Thema, doch als wir an unser Gate kamen, war alles, was mir einfiel: » Also… wie genau sollen wir zu mir ins Haus kommen, wenn es observiert wird und man uns dort schon erwartet?«
» Ich weiß es noch nicht.«
» Oh, gut.« Ben nickte. » Das beruhigt mich ungemein. Super Plan.«
» Wie wäre es, wenn ich Rayna anrufe?«, schlug ich vor, » damit sie uns abholt. Wir ducken uns im Auto, sodass uns niemand sieht, wenn wir auf das Anwesen kommen; sie könnte direkt in die Garage fahren und schon sind wir drin.«
» Und wenn uns jemand im Haus erwartet?«, fragte Ben.
» Sie wissen doch nicht sicher, dass wir kommen– warum sollte jemand das Risiko eines Einbruchs eingehen?«
» Hm…«, überlegte Ben. » Kann sein.«
» Hast du eine bessere Idee?«
Hatte er nicht. Genauso wenig wie Sage. Ich lieh mir Larry Steczynskis Handy aus, um Rayna anzurufen. Ich selbst gehe ja nie ran, wenn ich die Nummer des Anrufers nicht kenne, aber Rayna ist da anders: Sie betrachtet einen unbekannten Anrufer als möglichen Beginn einer Romanze.
» Hallo?«, meldete sie sich mit verführerischer Stimme.
» Hey, ich bin’s.«
» Clea! Alles in Ordnung bei dir? Seit zwei Tagen versuche ich verzweifelt, dich zu erreichen. Was ist passiert? Wo warst du?«
» Tut mir leid, ich habe mein Handy verloren. Es ist alles okay.« Das war ja wohl die größte Lüge, die ich jemals jemandem aufgetischt hatte.
» Wie okay?«, zog sie mich auf. » Hast du beim Karneval einen tollen Typen
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