Elli gibt den Loeffel ab
weiter schleppen, nur in welche Richtung? Von der Piazzetta blindlings der Masse über den Hauptweg in die Altstadt zu folgen ergab keinen Sinn.
»Du kannst doch ein bisschen Italienisch. Frag doch mal jemanden.« Elli erinnerte sich, dass ihre Schwester im Internat für zwei Jahre Italienisch als Wahlpflichtfach belegt hatte. Natürlich nicht aus Leidenschaft für Land und Leute, sondern weil ihr der Lehrer so gut gefallen hatte.
Doro sprach daraufhin den nächstbesten Passanten an, dessen Äußeres darauf schließen ließ, dass er von hier war. Sie hielt ihm Fabrizios Brief unter die Nase, deutete auf den Namen des Hotels und fragte nach der Adresse.
»Si, si, la Villa Palma... Gehe bis dritte Straße, dann rechts. Nichte mehr weite. Iste sehr schöne casa.«
»Danke.« Doro wirkte unendlich erleichtert.
Dennoch hatte sie wohl nicht damit gerechnet, dass »dritte Straße« doch noch ein ganzes Stück zu laufen war. Mit ihrem Kleiderschrank auf Rollen im Schlepptau, zunehmender Blässe und der schweißnassen Stirn sah sie aus wie das Leiden Christi in Person. Dazu noch ihr weißes, durchgeschwitztes T-Shirt. Fast wie Jesus in Ben Hur auf der Via Dolorosa, nur dass sie am Ziel nicht der Ölberg, sondern tatsächlich ein sehr hübsches Haus mit schönen kleinen Terrassen, die in den Berg hineingebaut waren, und ein freundlicher Empfang erwarteten.
»Buon giorno, signore. Frau Sattler, Frau Menning?«, fragte der kompakte Italiener an der Rezeption, der auch der Bruder von Danny de Vito hätte sein können.
Elli nickte überrascht.
»Signor Cavalaro hat ein Zimmer für Sie reserviert. Es ist bereits bezahlt.«
Die Sache wurde ja immer mysteriöser.
»Hätten Sie vielleicht noch ein zweites Zimmer?«, bohrte Doro nach.
Die Vorstellung, mit Elli wie früher gemeinsam in einem Raum nächtigen zu müssen, schien ihr offenbar ganz und gar nicht zu behagen.
»Tut mir leid. Wir haben nur noch ein Zimmer frei.«
»Haben Sie zufällig die Telefonnummer von Herrn Cavalaro? Wir müssten ihn dringend sprechen.« Doro gedachte wohl, ordentlich Dampf zu machen.
Der Hotelier überlegte kurz und wirkte in seiner Andacht, die einen sakralen Touch hatte, als hätte ihn gerade jemand darum gebeten, das Beichtgeheimnis zu brechen. »Ich gebe Fabrizio Bescheid, dass Sie da sind. Er meldet sich dann bei Ihnen.«
Noch bevor Doro darauf etwas erwidern konnte, wandte er sich ab und nahm einen Schlüssel vom Haken, den er ihnen mit einem zuversichtlichen Lächeln überreichte. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt.«
Genau wie früher! Kaum hatten sie das Hotelzimmer betreten, steuerte Elli zielstrebig auf das Bett am Fenster zu. Dorothea fühlte sich sofort an den alten Streit um die Frage erinnert, wer welche Bettseite für sich in Anspruch nehmen durfte. Fenster oder Schrank! Dorothea wollte immer auf der Fensterseite schlafen. Ihre Schwester natürlich auch. Einmal hatten sie sich sogar darum geprügelt, bis ihre Mutter schlichtend eingeschritten war. Fortan hatte eine Münze entschieden, wer wo schlafen durfte.
»Wir können ja wieder eine Münze werfen«, schlug sie Elli prompt vor.
»Die Klügere gibt nach«, erwiderte ihre Schwester daraufhin eingeschnappt. Wie auf Knopfdruck und genau wie früher. Den Satz hatte sie aus Ellis Munde schon so oft gehört.
Sieg!, dachte sie. Doch er schmeckte bitter. Es war ziemlich albern, sich wie zwei kleine Mädchen zu streiten. Aus dem Alter von Hanni und Nanni waren sie ja wohl heraus. Umso erstaunlicher, dass die alten Mechanismen, die sich offenbar tief in sie hineingefressen hatten, in der Lage waren, den Verstand komplett auszuschalten.
Um ein Haar hätte Dorothea auf das Bett am Fenster verzichtet, aber eine derart abgedroschene Phrase, die zudem verdächtig nach ihrer Mutter klang, konnte sie Elli beim besten Willen nicht durchgehen lassen. Jetzt erst einmal frisch machen. Der Stoff ihres T-Shirts klebte regelrecht auf der Haut. Immerhin entbrannte kein neuer Streit darüber, wer zuerst ins Bad durfte.
Elli verzog sich mit ihrem moralischen Sieg der Klügeren auf die Terrasse, auf der Gott sei Dank zwei gleiche Korbsessel standen. Es war also kein weiterer Streit vorprogrammiert, und sie konnte entspannt duschen und sich auf die zugegebenermaßen traumhafte Aussicht auf die Küste freuen. Wie nicht anders zu erwarten, gab es die gute italienische Dusche mit dem Loch im Boden noch immer. Warum sich die in Europa verbreitete Duschkabine in Italien nicht
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