Elli gibt den Loeffel ab
Oskar wieder auf den Boden zu setzen.
Am liebsten hätte Heinz Elli genau das Gleiche gefragt. In dem Moment wünschte er, die Menschen hätten mehr von Tieren. Warum brachten es die meisten Leute nicht fertig, einfach offen über ihre Gefühle zu sprechen?
Anja fand, dass alles viel zu schnell ging. Gestern noch Hartz IV mit Kummerspeck, heute gefangen in einem Traum, der den Regeln der Vernunft nach unmöglich real sein konnte. Ein gutaussehender und noch dazu wohlhabender Italiener hatte seine alte Liebe wiederentdeckt und gedachte sie nun offiziell seinem Vater vorzustellen. Das war doch völlig absurd, und es wurde von Minute zu Minute verrückter.
Das Anwesen der de Andres sah tagsüber noch pompöser aus als am Abend, zumal sie auf dem Fest überwiegend den Garten gesehen hatte. Die antik anmutenden Möbel in der Empfangshalle, der große Kronleuchter und die breite, halbkreisförmige geschwungene Treppe, auf der Paolos Vater nun herunterschritt, hatten etwas Feudales. Roberto de Andre war im Gegensatz zu gestern Nacht wie ausgewechselt: entspannte Gesichtszüge und ein freundliches Lächeln auf den Lippen.
»Anja, willkommen!«
Sehr merkwürdig. Paolo zwinkerte ihr nur zu, als sie sich zur Audienz in das Wohnzimmer begaben, das sein Vater als Salon bezeichnete. Hier bot sich ihr das gleiche Bild: dunkle Möbel aus edlen Hölzern, wertvolle Teppiche und Brokatvorhänge, die in dem großen Raum besonders gut zur Geltung kamen.
»Was möchten Sie trinken? Vielleicht ein Glas Wein? Sie bleiben doch zum Abendessen?«, fragte der Hausherr sie mit sanfter Stimme.
Abendessen? Anja konnte nur noch Staunen.
»Klar bleiben wir!« Paolo war ebenfalls sehr angetan vom Verhalten seines Vaters.
»Das kam gestern alles etwas sehr überraschend für mich. Paolo hat mir Vorjahren kaum etwas von Ihnen erzählt.«
»Du hast ja auch nie danach gefragt«, berichtigte der Sohn den Vater, ohne dafür einen vorwurfsvollen Blick zu ernten.
»Was machen Sie denn so beruflich?«, wollte er nun wissen.
»Ich bin Köchin.«
Irrte sie sich, oder hatte Paolos Vater gerade Mühe, seine Enttäuschung zurückzuhalten?
»Im Hotelgewerbe?«
Wenn sie ihm jetzt noch erzählte, dass sie arbeitslos war, erfreute ihn das sicher noch mehr.
Paolo musste ihre Gedanken gelesen haben und sprang wohl deshalb für sie in die Bresche. »Anja kann es mit jedem unserer Küchenchefs aufnehmen.«
Nun schien Roberto de Andre wirklich beeindruckt, aber leider hakte er nun genauer nach. »Für wen arbeiten Sie?«, fragte er so beiläufig wie möglich.
Gut, dann musste sie die Karten eben auf den Tisch legen. »Als Frau ist es in diesem Bereich nicht so einfach, eine passende Stelle zu finden.«
»Sie sind also momentan auf der Suche?«
Anja nickte. Am Ende bot er ihr noch eine Stelle in einem seiner Hotels an.
»Die Konkurrenz ist hart. Ich kann mich ja einmal umhören.«
»Danke.« Um ein Haar hätte sie einen Knicks gemacht. Ihm jetzt noch ihre Pläne mit der Casa Bella zu offenbaren, wäre sicher ganz schlechtes Timing. Dumm gelaufen! Was zählte, war die freundliche Geste. Vielleicht war er ja doch ganz nett.
»Paolo«, tönte plötzlich eine schrille Stimme vom Pool herüber. Einen Moment später kam das halbnackte Grauen auf langen Beinen in High Heels auch schon durch die Terrassentür herein: bauchfrei, Wespentaille, eine Oberweite, für die nicht wenige Frauen sterben würden, und blondes
Haar auf einem gesund gebräunten Teint. Sie steuerte direkt auf Paolo zu.
»Barbara«, stammelte er verlegen.
Prompt warf sie sich ihm an den Hals. »Paolo, mein Lieber. Wenn ich gewusst hätte, dass du schon gestern... aber ich war auf Ischia. Warum hast du mich nicht angerufen?«
»Barbara!« Paolo wirkte teils überrumpelt, teils peinlich berührt, aber auch erfreut, sie wiederzusehen.
»Tesoro mio caro.«
Anja verstand zwar kein Wort von dem, was die Blondine da sagte, aber ihre Körpersprache war eindeutig. Die beiden hatten offenbar mal etwas miteinander gehabt. Sah Paolos Vater sie etwa gerade betreten an, mit einer Spur von Mitleid im Blick?
Erst jetzt schien die gute Barbara zu realisieren, dass noch jemand oder vielmehr ein Niemand, wenngleich ein unübersehbarer, anwesend war. Sie ließ von Paolo ab und starrte Anja verächtlich und mitleidsvoll zugleich an. Paolo wirkte hilflos und warf einen fragenden Blick in Richtung seines Vaters, der nur mit den Schultern zuckte. Wenn diese Barbara sie wenigstens begrüßt oder sich ihr
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