Ellin
lächelte. »Das werden wir gewiss, zumindest solange wir noch im Dienst der Herrscherin stehen.«
Sie umarmten einander. Nachdem Nuelia gegangen war, sank Ellin erneut auf ihre Bettstatt und gab sich ein letztes Mal ihrer Trauer hin. Anschließend schwor sie sich, keine weiteren Tränen mehr zu vergießen und nach vorn zu schauen. Sie begann damit, indem sie zur Herrscherin eilte und um eine Audienz bat.
Nosara zeigte sich überrascht, dass Ellin nun doch in Huanaco bleiben wollte, doch da sie Kylian versprochen hatte, ihr eine Anstellung zu geben, beauftragte sie ihren Leibdiener, ihr eine der Dienstbotenunterkünfte zuzuweisen. Sie bekam eine winzige Kammer auf der vierten Ebene, die kaum genug Platz für eine Bettstatt bot, doch Ellin war froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben und nicht fortgeschickt zu werden. Sie aß etwas Obst und Käse in der Speisekammer hinter der Küche und begab sich dann zur Palastvorsteherin, um nach Arbeit zu fragen. Ein wenig Ablenkung würde ihr guttun. Tario empfing sie mürrisch und zeigte deutlich, wie sehr es ihr missfiel, Ellin wiederzusehen. Sie schickte sie in das Badehaus zum Kämmerer, um ihre Dienstkleidung zurückzuholen. Als Ellin den Weg Richtung Badehaus einschlug, entdeckte sie die Uthra, die gerade Richtung Tor ritten. Jesh saß auf einem Gescheckten, gefolgt von Nuelia, die auf Pineo ritt. Kylian führte sie an. Aufrecht saß er auf Jalos Rücken, das schwarze Haar trug er offen, nur die vorderen Partien hatte er zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengefasst. Ihr Herz wurde schwer und sie verspürte den unwiderstehlichen Drang, ihm nachzueilen.
»Sieh mich an«, wisperte sie.
Doch Kylian blickte nicht zurück. Schon passierte die Gruppe das große Tor und verschwand aus ihrer Sicht. Ellin rang um Beherrschung, wischte die einsame Träne fort, die sich aus ihren Augen gestohlen hatte und über ihre Wange lief. Sie fühlte sich, als hätte ihr jemand das Herz herausgerissen und stattdessen einen Klumpen Eis in ihre Brust gelegt. Einsamkeit und das schreckliche Gefühl, einen Fehler zu begehen, überfiel sie. Hatte sie Kylian überhaupt die Möglichkeit gegeben, sich zu erklären? Hatte sie Jeshs Beweggründe hinterfragt, so wie sie es bei Kylian und Nuelia getan hatte? Nein. In ihrer kindischen Wut hatte sie alles weggeworfen, einfach so. Dabei wusste sie nichts über Geldis’ und Kylians Verbindung, außer dass sie die Schlaffelle miteinander geteilt hatten. Doch das war lange vor ihrer Zeit gewesen. Hatte die Eifersucht ihre Sinne benebelt? Immerhin hatte Geldis ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie wollte, dass sie Kylians Gefährtin wurde. Aber warum sollte sie das wollen, wenn sie ihn doch geliebt hatte? Nun war Geldis tot und Kylian fort. Niemand war mehr da, den sie hätte fragen oder mit dem sie sich hätte beraten können. Sie war allein in einer fremden Stadt, ohne Vertraute, ohne Freunde, ohne Familie.
Mit bleiernen Schritten folgte sie dem Weg zum Badehaus. Ihr Körper schien so schwer und unbeweglich wie ein Felsbrocken. Sie schluckte die Tränen, die mit aller Macht nach draußen drängten. Sie durfte nicht mehr weinen, sie musste nach vorne schauen.
Von diesem Tag an verging die Zeit in ruhiger Gleichförmigkeit. Ellin bekam die Herrscherin nie zu Gesicht, ihre Anweisungen erhielt sie von der Palastvorsteherin Tario, die ihr auch nach Wochen noch immer mit Misstrauen begegnete. Sie verrichtete ihre Arbeit, wie sie es gelernt hatte, sorgfältig und still. Niemand schlug sie, niemand beschimpfte sie und sie erhielt sogar ein paar Prasis für ihre Dienste, die sie, bis auf wenige Ausnahmen, an einem geheimen Ort verwahrte. Sie hätte zufrieden sein können. Doch sie war es nicht. Nicht nur, dass sie Kylian, Nuelia und Jesh vermisste, auch die Arbeit bereitete ihr keine Freude. Nun, da ihr die Angst vor Lord Wolfhards Rute nicht mehr ständig im Nacken saß, bemerkte sie, wie unbefriedigend und langweilig die Arbeit als Kammerdienerin war. Wenn sie durch die Straßen Huanacos spazierte, betrachtete sie die Auslagen der Geschäfte und wünschte sich, sie könnte mehr tun als nur die Bettstatt der Gäste zu richten, Kleider zu bürsten, die Kammern zu fegen, frische Tücher bereitzulegen und die Wanne mit Duftölen und Blüten zu füllen. Sie wollte Schmuck herstellen oder Schuhe oder, wie ihre Eltern einst, Feldfrüchte säen und Handel betreiben.
Du bist ein unzufriedenes Ding , schalt sie sich. Es ist noch nicht lange her, da
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