Ellin
Menschen zu ignorieren.
So verging die Zeit, während sich der beißende Schmerz ihrer verlorenen Liebe in einen dumpfen Kummer verwandelte. Jede Nacht stand sie am Fenster und blickte zum Nordstern hinauf, bis ihn der schwarze Himmel verdunkelte und die Welt um sie herum in Finsternis hüllte. Dann tastete sie sich zu ihrer Bettstatt, legte sich hin und stellte sich vor, wie es wäre, neben Kylian zu liegen, in seinen Armen einzuschlafen. So gelang es ihr, sich ein wenig geborgen zu fühlen, zumindest während der Nacht. Wenn der Morgen graute, erwachte sie in der Wirklichkeit, allein in einer Stadt, die vielleicht niemals ihr Zuhause sein würde. Jeden Tag wartete und hoffte sie auf die Rückkehr der Uthra. Kylian nur in ihrer Nähe zu wissen würde sie trösten, dessen war sie gewiss. Doch jeder Blick über die weiten Hügelkuppen war vergeblich. Die Gäste kamen und gingen, ohne dass die Uthra zurückkehrten.
19
J esh verschränkte die Arme vor der Brust und blitzte Kylian zornig an. »Seit wie vielen Nächten irren wir nun schon umher? Wie sollen wir sie ohne Geldis’ Visionen finden? Ich bin es leid und sehe keinen Sinn, in dem was wir tun.«
Kylian warf ihm einen abfälligen Blick zu. Auch seine Wut war noch immer nicht verraucht. »Es ist unser Auftrag, sie zu finden und wir machen so lange weiter, bis wir sie finden.«
»Ich sage, kehren wir um und gestehen der Herrscherin, dass wir ohne Geldis’ Visionen im Dunkeln tappen«, widersprach Jesh.
»Was du sagst, ist ohne Bedeutung. Ich sage, wir finden sie.«
Jesh presste die Lippen aufeinander und wandte sich ab.
»Vielleicht sollten wir die Herrscherin um eine ihrer Seherinnen bitten?«, schlug Nuelia vor.
»Vielleicht sollten wir uns nach einer anderen Einnahmequelle umsehen. Unsere Zeit als Söldner ist vorbei«, entgegnete Jesh.
Kylian runzelte die Stirn. »Was redest du da, Bruder? Hat dir dein Zorn etwa die Sinne vernebelt?«
Jesh kniff die Augen zusammen. »Wohl eher deine, Bruder. Wir sind am Ende, siehst du das nicht? Butan und Geldis sind tot, unsere Verbundenheit ist dahin. Es ist vorbei.«
»Glaubst du das wirklich?« Kylian wirkte ehrlich fassungslos. »Willst du uns verlassen und lieber alleine umherziehen, nur wegen ihr ?«
Seit sie Huanaco verlassen hatten, vermieden sie es, Ellins Namen zu nennen oder sie auch nur zu erwähnen. Sie mochten höflich miteinander umgehen, doch der Zorn brodelte unter der Oberfläche und wartete darauf, dass ihre Selbstbeherrschung bröckelte. Jesh enthielt sich einer Erwiderung. Sein wütender Blick sprach Bände. Nuelia trat zwischen sie und ergriff Kylians Arm. »Beruhigt euch. Wir sind müde, hungrig und verdrossen, kein Wunder nach wochenlanger vergeblicher Suche. Lasst uns einen Unterschlupf vor dem nahenden Unwetter suchen und später eine Entscheidung treffen.«
Wie zur Bestätigung ihrer Worte ertönte ein fernes Grollen. Kylian betrachtete den Himmel. Graue Wolkenberge schoben sich vor die Sonnen und verdunkelten den Tag. Immer wieder zuckten Blitze hervor und verloren sich in den Weiten des Horizonts.
»Du hast recht. Doch die Sache ist noch nicht erledigt. Morgen werden wir das ein für alle Mal klären.« Mit großen Schritten stapfte er auf Jalo zu und schnürte sein Bündel an den Sattelgurt. Nuelia folgte ihm und deutete auf eine Staubwolke in der Ferne. »Reiter.«
Kylian zog den Knoten zu. »Dann sollten wir schleunigst verschwinden. Lasst uns nach Osten reiten. Am großen Felsen finden wir sicher eine Höhle, die uns vor dem Unwetter schützt.«
Die Reiterschar näherte sich rasch. Bevor die Uthra das Weite suchen konnten, hatten sie sie bereits entdeckt und hielten nun direkt auf sie zu. Ein reich gekleideter Mann auf einem schwarzen Hengst führte die Gruppe an. Das vecktanische Wappen prangte auf seinem Schild. Sein roter Bart war von grauen Fäden durchzogen und wer ihn näher betrachtete, bemerkte unweigerlich den grausamen Zug um seinen Mund.
Die Reiter hielten inne. »Seid gegrüßt, ihr Wandersleute«, sagte der Bärtige. »Mein Name ist Lord Hanold Wolfhard, ich bin der Herr von Veckta.«
Kylian musterte ihn abschätzend, ohne eine Spur von Höflichkeit oder Demut. Lord Wolfhard runzelte unwillig die Stirn.
»Wer seid Ihr?«, fragte er an Kylian gewandt.
Nuelia lenkte Pineo an Kylians Seite und neigte den Kopf. »Seid gegrüßt, Lord Wolfhard. Ihr müsst meinen Bruder entschuldigen, er ist Fremden gegenüber misstrauisch. Zu viele Diebe und Wegelagerer trifft man
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